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Die Alte schüttelte traurig den Kopf.Höre nur zu! So lieb unser Prinzeßchen war, hatte sie doch von Kindheit an eine Eigenschaft, die freilich nichts Schlimmes war, aber doch viel Verdruß machte. Sie wollte immer und ewig schlafen! Wenn sie essen oder sonst etwas treiben sollte, mußte ich sie immer erst ein Bischen schütteln, hatte ich sie zum Ausgehen angezogen, dann saß sie jedesmal, wenn es fortgehen sollte, mit ihrem Federhütchen auf dem Kopfe da und schlief schon wieder, und unter­wegs setzte sie nur immer ein Füßchen vor das andere und hielt die Augen zu. Anfangs lachten Alle darüber, als die Prinzessin aber größer wurde und etwas lernen sollte, lachte Keiner mehr."

Müssen Prinzessinnen denn etwas lernen?" fragte Fritz erstaunt.

Ach, und wie viel! Vom frühen Morgen an kam ein Lehrer nach dem andern, immer abwechselnd, zur französischen Stunde und zur eng­lischen, zur Geographie und zum Deklamiren, zum Singen und Tanzen, zum Sticken und Malen da ist es wahrhaftig kein Wunder, daß mein armes Prinzeßchen ganz schwindelig und schläfrig darüber wurde und in jeder Stunde einnickte. Aber die Lehrer wollten das nicht begreifen, und der König wurde sehr böse, so daß meine Prinzessin den ganzen Tag Schelte bekam und immer weinte, so oft sie wach war. Das jammerte mich so, daß ich Tag und Nacht darauf sann, wie man ihr helfen könnte, und dann kam das Elend!" Bei diesen Worten fing die Alte an so bitterlich zu weinen und zu schluchzen, daß Fritz ganz bang um's Herz wurde und er sie bat, lieber nicht weiter zu erzählen. Sie schüttelte aber nur den Kopf und fuhr fort:Ich dachte mir so in meinem dummen Sinn, wenn das Prinzeßchen sich einmal recht nach Herzenslust satt schlafen dürfte, dann würde sie nachher besser wach bleiben können, und weil die Menschen doch immer dazwischen essen und trinken müssen, so kam ich auf den Gedanken, sie für acht Tage in ein Murmelthier zu ver­wandeln, damit sie sich ganz ohne Unterbrechung ausschlafen könnte."

Verwandeln?" sagte Fritz und rückte von ihr ab;bist Du denn eine Hexe?"

Nein, nein, lieber Junge, ich bin eine gute Christin! Meine Groß­mutter war aber eine weise Frau und hat mich auf ihrem Todtenbette noch gelehrt Menschen und Thiergestalten zu besprechen. Doch habe ich ihr versprochen, diese Kunst nie zum Bösen anzuwenden, und bisher hatte ich überhaupt keinen Gebrauch davon gemacht. Ach, wäre es nie ge­schehen! Ich meinte es ja so gut und habe doch so viel Unheil angerichtet.