Städten mittlerer Grösse bestehende Einführung, die einzelnen Filialämter durch Localleitungen mit der Centralstation zu verbinden und die einlangenden und aufgegebenen Telegramme durch Umtelegraphirung weiterzubefördern, hatte in sehr ausgedehnten Städten mit zahlreichen Nebenämtern Verzögerungen in der Expedition zur Folge und war überdies sehr kostspielig. Um allen diesen Schwierigkeiten zu be­gegnen, musste in Weltstädten ein für die Massenbeförderung geeignetes Verkehrsmittel, die Rohrpost, geschaffen werden. Zu diesem Behufe werden die Aemter durch ein unterirdisches Rohrnetz mit einander verbunden, in welchem die die Depeschen enthaltenden und nach Bedarf zu längeren oder kürzeren Zügen vereinten Büchsen mit Hilfe einer künstlich erzeugten Luftdruckdifferenz vor und hinter dem Zuge mit grosser Geschwindigkeit bewegt werden. Dies ist in Kürze das Princip, welches allen Rohrpostanlagen zu Grunde liegt. Natürlich bedurfte es aber auch auf diesem Gebiete vielfacher Versuche und lang- jähriger Erfahrungen, bis der Rohrpostbetrieb jene Stufe der Ausbildung erreichen konnte, welche ihn befähigt, den enormen Anforderungen des heutigen Verkehres zu genügen.

Die erste pneumatische Depeschenbeförderung wurde 1854 von Clark zwischen zwei Sälen des Londoner Telegraphengebäudes eingerichtet. Das Clarksche System, durch Varley wesentlich ver­bessert, fand 1858 Anwendung im grösseren Maasstabe bei einer anderen Anlage in London, zwischen Morgate Street und General Postoffice.

Siemens machte später den Vorschlag, die Büchsen in einer in sich zurückkehrenden Rohr­leitung, in welcher sich ein continuirlicher Luftstrom bewegt, zu befördern; eine nach diesem Principe des continuirlichen Betriebes in Berlin errichtete Anlage bewährte sich jedoch nicht und musste bald umgestaltet werden.

1866 wurde in Paris der sogenannte discontinuirliche Betrieb, wie er in London bestand, bei welchem die Züge nicht zu allen beliebigen Zeiten, sondern nur in bestimmten Intervallen abgelassen werden konnten, mit bestem Erfolge aufgenommen, und veranlasste dieser Umstand die österreichische Telegraphenverwaltung, auch für Wien die Errichtung einer pneumatischen Anlage in Aussicht zu nehmen. Die ursprüngliche, 1873 eröffnete Anlage war hauptsächlich dem Pariser Polygonalsystem nachgebildet, bei welchem die Züge in den die einzelnen Stationen verbindenden Rundzugslinien nur nach einer Richtung verkehren. Demgemäss bestand das Rohrnetz aus einer die in der inneren Stadt und in der Nähe derselben gelegenen Stationen verbindenden Ringlinie und aus zwei Radialstrecken, in welchen nach Londoner Muster die Züge von der Centrale bis zum Endpunkt der Strecke und zurück ver­kehren. Zur Erzeugung der zum Betriebe erforderlichen verdichteten und verdünnten Luft dienten zwei im Telegraphengebäude und in einem eigenen Gebäude im VI. Bezirke untergebrachte Maschinen­anlagen von 24, beziehungsweise 16 HP. Das Rohrnetz umfasste iij km Rohrleitungen und zehn Stationen.

Solange die Rohrpost nur zur Beförderung von Depeschen benützt wurde, entsprach die beschrie­bene Anlage vollkommen den an sie gestellten Anforderungen. Als aber diese Einrichtung auch zur Beförderung schriftlicher Mittheilungen in Form von Rohrpostbriefen, Rohrpostkarten, Express- und Bahnhofsbriefen etc. herangezogen wurde und dieses Verkehrsmittel eine immer grössere Beliebtheit im Publicum erlangte, war das Bedürfnis nach entsprechender Erweiterung der Anlage unabweisbar ge­geben. Diese Erweiterung und die dadurch bedingte Vermehrung der Maschinenanlagen erfolgt nun seit dem Jahre 1889 in systematischer Weise nach einem den schliesslichen Ausbau der Anlage um­fassenden Generalproject. In der Erkenntnis, dass in ausgedehnteren Netzen der reine Polygonalbetrieb hemmend auf den Verkehr einwirkt, wurde das Wiener Netz der Hauptsache nach für Radialbetrieb pro- jectirt und der Rundzugsverkehr nur zur Verbindung der einzelnen Radien untereinander angenommen. Das künftige Rohrnetz wird aus 9 Radialstrecken zur Centrale und aus 2 concentrischen Ringlinien bestehen. Zum Betriebe der ganzen Anlage werden 7 Maschinenhäuser mit zusammen 200 HP erforder­lich werden. Hiervon sind derzeit 4 Maschinenanlagen mit 100 HP im Betrieb. Die von den Gebläsen erzeugte verdichtete und verdünnte Luft wird in eigenen Reservoiren, welche entweder im Maschinen­hause selbst oder in einer benachbarten Station aufgestellt sind, angesammelt. Die Fahrrohrleitungen in einer bisherigen Gesammtlänge von - 50 km bestehen aus 65 mm weiten schmiedeisernen Flanschen­röhren. Die Dichtung an den Stössen erfolgt mittelst zwischengelegter Gummiringe.

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