110
«unpolitischem Charakter und, der Zeit und Entfernung spottender Geschwindigkeit, kann der Telegraph nur dann seine Aufgabe wirklich erfüllen, wenn die Einrichtungen, an welche er gebunden ist, in allen durch den electrischen Draht mit einander verbundenen Ländern der Erde vollkommen übereinstimmen und demzufolge eine genaue in einander greifende und unaufgehaltene Thätigkeit er- möglichen.
Diese Bedingung gilt insbesondere für die internationale Telegraphie, weil ein rascher und sicherer Depeschenabfluss nicht denkbar wäre, wenn die für die Beförderung der Telegramme auf weite Entfernungen bestimmten Linien in einzelnen Ländern durch den gegenseitigen Verkehr einer Menge kleiner Z wischstationen überhäuft, — die Leitungen der einen oder der anderen Verwaltung in schlechtem Zustande, — die Apparatensysteme der in direkter Verbindung stehenden Telegraphenstationen verschiedenartig, — die Vorschriften über die Form, Zulässigkeit und Behandlung der telegraphischen Correspondenzen in den durchlaufenen Staaten abweichend sein würden u. dgl. m.
In Erwägung dieses Umstandes sind die europäischen Regierungen nach Herstellung der telegraphischen Verbindung zwischen ihren Ländern und nach Massgabe derselben, hinsichtlich des gegenseitigen Telegraphenverkehrs sofort in bestimmte Beziehungen zu einander getreten, indem sie mit Rücksicht auf ihre Gruppirung Telegraphen-Vereine bildeten und Telegraphen-Verträge abschlossen.
Obschon nun diese Vereine und Gruppen (der deutsch-österreichische Telegra- phenverein, die durch den Brüsseler Vertrag vom 30. Juni 1858 verpflichteten Staaten u. s. f.) bestrebt waren, gleichartige Grundsätze für den telegraphischen Verkehr festzusetzen,so konnte bei den häufig di-
vergirenden Interessen der einzelnen Staa- tengruppen zum grossen Nachtheile des Depeschen- und Verwaltungsdienstes doch niemals eine vollkommene Uebereinstim- mung zwischen sämmtlichen Telegraphensystemen erzielt werden. Namentlich waren es die auf die ungeregelte Linienordnung, auf das minutiöse, theure und verwickelte Abrechnungswesen und auf den für das Publikum überhaupt und für die Handels- und Geschäftswelt insbesondere so wichtigen Telegraphentarif bezüglichen Fragen, welche unter den angedeuteten Verhältnissen eine befriedigende Lösung nicht erfahren konnten.
So geschah es beispielsweise sehr häufig, dass zur Aufgabe gebrachte Depeschen zurückgewiesen werden mussten, weil über die Eröffnung der betreffenden Adress-Station vom Auslande gar keine Mittheilung eingelangt und der bezügliche Tarif unbekannt war. In anderen Fällen kam es vor, dass hinsichtlich einer uud derselbeu Station von verschiedenen Seiten her ganz entgegengesetzte und irrige Nachrichten einliefen, oder dass eine Depesche angenommen und abtelegraphirt wurde, aber nur verspätet oder gar nicht an ihre Bestimmung gelangte, weil seit längerer Zeit eine Linien-Unterbrechung bestand, von der die Aufgabestation nichts wusste.
Ein anderes Mal wieder entstanden Streitigkeiten über die Beförderungsgebühren, da die Aufgabestation einen Ausdruck im Texte der Depesche als Ein Taxwort und die Adress- oder Mittelstation als zwei Taxworte berechnete.
Handelsdepeschen, Welche Curse u. dgl. enthielten, Wurden als chiffrirte Correspondenzen beanständet und nicht expe- dirt. Dann beliebte es einer oder der andern Telegraphen-Verwaltung plötzlich und mitunter hinterher Erhöhungen des Tarifs eintreten zu lassen, beliebige Aende-