28

Ich habe das Wort Ausflucht gebraucht, und ich muss es festhalten; denn wäre es wirklich wahr, dass man der Frau das Familienwohl anvertrauen wollte, so müsste die Frau das erste Wort in allen Erziehungsfragen, in allen Familien­angelegenheiten haben. Es müsste für die mutterlosen Kinder Vormünderinnen geben, wie für die vaterlosen Vormünder, die Vormundschaftsgerichte müssten aus Männern und Frauen zusammengesetzt sein, und Gatte und Gattin müssten gleiche Rechte auf ihre Kinder haben. Das empörendste Unrecht wird uns an der Seite des geliebten Gatten, am eigenen Herd. Wir, die wir in Hingabe für das Kind, dessen Herzschlag wir durch Monden theilen, keine Grenzen kennen, wir, die wir aufhören, für uns zu wünschen, zu streben, und nur im Kinde leben, wir haben kein Recht auf unser Kind! Die grösste Härte widerfährt uns im Rahmen der Familie, und kein Sohn sollte im Andenken an seine Mutter dieser Schmach gleichgiltig gegenüber stehen.

Sie aber werden mir zugeben, dass ich mit der Bezeichnung »Ausflucht« kein Unrecht beging; wir sind auf dem Boden, den man uns allein einräumt, rechtlos, auch in der Familie wehrt man unserer Seele die Bethätigung.

Lassen Sie' mich hier abbrechen, abbrechen, um dem Ehemanne Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Der Ehemann ist viel besser als der Gesetzgeber. Die Güte des Gatten, welche vielen, vielen Ehefrauen das Leben schön und leicht macht, ist ein Hauptgrund, dass es mit der Rechtlosigkeit beim Alten bleibt, in der Familie und ausserhalb derselben.

Hegt das. Mädchen am Traualtäre wenigstens die Hoffnung, durch die Liebe des Mannes einem freundlichen, geschützten Dasein entgegenzugehen, so entbehrt das ehelose Mädchen mit der Liebe des Mannes auch dieser Hoffnung. Der gemeine Mann sieht in ihr zumeist die Sitzengebliebene; er hat eben eine so hohe Meinung von sich, dass er übersieht, dass gerade sehr begabte, schöne und reiche Mädchen oft das Sitzenbleiben einem Gang durchs Leben mit einem ungeliebten oder unter­geordneten Manne vorziehen. Die Wahl eines Mannes ist eben kein Criterium für den Werth, und begabte Mädchen trösten sich auch leicht über die »alte Jungfer«. Worüber sie sich nicht hinwegsetzen können, ist, dass, während sie einerseits den naturgemässen Wirkungskreis und den Ernährer entbehren, sie anderseits kein Recht auf eine freie Berufswahl haben. Und doch liefern die Ergebnisse der Statistik die feste Basis für die Forderung nach dem ungeschmälerten Rechte auf Arbeit; sie er­weisen die übergrosse Zahl unverheirateter, unversorgter Frauen, welche auf den Broterwerb angewiesen ist.

Damit bin ich bei der einen Aufgabe dieser Stunde angelangt: zur Beantwortung der Frage, wieso es kommt, dass eine Angelegenheit, welche sowohl von einem unbefangenen Rechtsstandpunkte, als auch vom Standpunkte der wirthschaftlichen Nöthigung als unanfechtbar erscheint, so viele Gegner hat. Zunächst überrascht die Gegnerschaft der Frauen.

Es ist eine traurige Erscheinung, dass gerade die hochgestellten, die einfluss­reichen, die begüterten F'rauen am ablehnendsten sind. Es müsste dieser Indifferen- tismus zu einem harten Urtheile verleiten, gäbe es nicht eine mildernde Aufklärung. Denn kann man sich eine grössere Herzlosigkeit, einen grösseren Egoismus denken, als die sich in der beglückten Gattin und Mutter oder in der reichen Frau ver­körpernde Theilnahmslosigkeit und Gleichgiltigkeit für die verzweifelten Anstrengungen