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Gefühl. Jetzt wusste ich auch, was es mit meiner Ausbildung war. Ich, die ich mein Haus recht und gut versah, was konnte ich, was war ich ohne dasselbe ?! Und wer verbürgt jedem Mädchen ein Hauswesen, und den Mann und das Haus bis ans Ende!? An demselben Tag und in der darauf folgenden Nacht reifte ich zum selbst­bewussten Weibe heran. Selbstständig muss auch die Frau sein, stand es plötzlich klar vor mir. Was taugt eine Erziehung, die uns im Falle der Noth im Stiche lässt! Ich sah plötzlich die vielen unverheirateten Berufslosen, und in welchem Lichte sah ich sie! Mir wars, als nöthige mich mein bevorzugtes Los, ihnen zu helfen, ihnen Befreiung von überlebter vGepflogenheit zu bringen. An jenem Morgen stand es in meinem Innern fest, dass die Frau nebst echter Bildung und den hausfraulichen Fer­tigkeiten, einer Berufsbildung zu erwerblichem Zwecke bedürfe, und dass die erste Stufe dazu die Gleichberechtigung in der Schule sei. Ich suchte nach Gelegenheit, um zu meinen Geschlechtsgenossinen sprechen zu können, die Generalversammlung des Frauenerwerb-Vereines bot sie mir. Später freilich erfuhr ich, dass schon Viele vor mir dasselbe gedacht hatten, und dass in England, Schweden und Amerika die Frauenbewegung in vollem Fluss war. Ich aber hatte dabei immer das Eine voraus, die unmittelbare Erfahrung, mich hatte das Leben gepackt.

Was ist alles Hörensagen und Lesen im Vergleich zur eigenen Erfahrung! Unseren glücklichen, gutgestellten Frauen fehlt sie. Was über die Frauenfrage ge­sprochen und geschrieben wird, liegt weitab von ihrer Erfahrung, weitab von ihrem Ideenkreise, so dass ihnen die Bestrebungen der gebildeten, aber mittellosen Mädchen diesen gilt die Agitation zunächst nur als Sport erscheinen. Wozu alle diese Neuerungen, meinen sie, jedes Mädchen sehe einen Mann zu bekommen, und wenn es der Einen oder der Anderen nicht glückt, oder wenn die eine oder die andere Ehefrau Witwe wird, so nehme sie eine Stelle als Erzieherin, Haushälterin oder auch Kammerjungfer, es fehle ohnedies an guten Stützen der Hausfrauen. Oder schliesslich, warum sollte ein wohlhabender Verwandter sich nicht finden, der für die geringen Bedürfnisse der Tante, Nichte oder Kousine aufkommen wollte. Als ob die genannten Stellen und die mildthätigen Verwandten so leicht zu finden wären, und äls ob es selbstverständlich wäre, dass ganze Schichten der Gesellschaft deklassirt und zum Al­mosennehmen verurtheilt werden. Wie anders wäre es, wenn die Frauen inglück­lichen Lebenslagen ihren Einfluss für die erwerbenden Frauen einsetzen würden, wenn die Frauen die schuldige Anerkennung für die wirthschaftlich selbstständigen dadurch zu erkennen gäben, dass sie die mit ihnen auf gleicher Bildungsstufe stehenden Er­werbenden in ihre Kreise ziehen würden. Die Frauen der höheren Stände sind in der Lage den Wirkungskreis der Frau zu erweitern und die sociale Stellung der erwer­benden Frau auf ihre eigene Stufe zu heben. Es geben sich die Frauen darüber nur nicht Rechenschaft; woran es fehlt, das ist der Contakt mit der lebendigen, ergrei­fenden Wirklichkeit.

Da ich es mir zur Aufgabe gemacht habe, unsere Gegner nach Möglichkeit kennen zu lernen immer in geheimer Bekehrungshoffnung so folgen Sie gütig nun auch noch meiner Betrachtung der männlichen Gegnerschaft.

Diese ist entschieden leichter zu erklären, sie ist naturgemässer, es ist der Standpunkt des Privilegirten gegenüber dem Emporkömmling. Es ist ein »Stand­platz«, ein breiter Standplatz, aber ein Pünktchen ist auf demselben, das für die Zukunft dennoch verheissungsvoll ist, die pragmatische Sanction ist auch davon aus­gegangen, es ist das Vaterinteresse für die Tochter. Ja, Vater und Tochter, Bruder