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und Schwester, Gatte und Gattin! und doch fehlt es nicht an kindischen und erbit­terten Klagen der Männer über die Frauen und der Frauen über die Männer! Muss man nicht auf Krankhaftes in der Gesellschaft schliessen, wenn die Geschlechter streitbar werden? Krankhaft ist der fürs Ganze getrübte Blick mancher einsamen ge­drückten Frauenseele, und nicht minder krankhaft die Geringschätzung manches Mannes für die Frauenwelt. Man sollte glauben, dass nur verbitterte Hagestolze, welchen schliesslich sogar die Erinnerung an die Mutter abhanden gekommen ist wir haben darin ein grosses Muster: Schopenhauer Verächter der Frauen sein können. Aber so steht die Sache nicht, eine grosse Zahl unserer Gegner gehört dazu. Ich möchte die männliche Gegnerschaft überhaupt in zwei Gruppen theilen. Die eine besteht aus Männern, welche der Würdigung und Werthschätzung für die Frau entbehren und in ausgeprägtester Eigenliebe die Bahn allein für sich frei haben wollen. Diese waren entweder so unglücklich, dem ganzen Reichthum- einer edlen tüchtigen Frauennatur niemals zu begegnen, oder es fehlt ihnen der Sinn für die ethischen Anlagen pflicht­treuer Frauen, der Sinn für Ethik und Recht überhaupt. Es wäre vergebens, sich an sie wenden zu wollen. Anders die zweite Gruppe. Deren Gegnerschaft entspringt nicht der Geringschätzung für die Frau, sondern einem Verkennen der Sachlage. Der sittlich und geistig hochstehende Mann weiss die Bedeutung der gemüthvollen, intelligenten Frau zu schätzen, und gerade weil er den Einfluss solcher Frauen in der Familie sehr hoch anschlägt, möchte er alle Frauenkraft in dem einen Brennpunkte der Familie sammeln. Dieser Standpunkt ist theoretisch richtig und er schliesst auch das inten­sivste Bildungsbedürfniss der Frau nicht aus; denn wie Diesterweg für die Volksschule meinte: »dass das Beste gerade gut genug sei«, so gilt das Gleiche für die Gattin und Mutter. Aber bei dem Gedanken, dass alle Frauen nichts zu sein hätten, als dem geliebten Manne die treue Freundin und den eigenen Kindern die beste Pflegerin und Erzieherin, nichts als die gute Vorsehung der Ihrigen, erinnert man sich des Aus­spruches: »dass der Wunsch der Vater des Gedankens ist«. Hier schafft er eine ver­lockende Aussicht, welche auch die aufstrebende Macht der socialen Arbeiterpartei uns eröffnet, und praktisch in dem Bemühen um Einschränkung der Frauenarbeit in den Fabriken zum Ausdrucke bringt.

Man sagt uns, die Arbeiterfrauen unterstützten dieses Bemühen und es ereigne sich das Widerspruchsvolle, dass während einerseits die Frauen der unbemittelten In­telligenz nach neuen Erwerbsquellen ausser dem Hause suchten, die Frauen der Ar­beiter nach ausschliesslicher Arbeit am eigenen Herde strebten. Wollte man damit wieder einmal sagen, dass die unbemittelte weibliche Intelligenz den Sport lassen solle, so müsste man darauf erwidern, dass gewiss nur die Arbeiterfrauen, deren Männer reichlichen Verdienst haben, lieber zuhause bleiben, dagegen diejenigen, deren Männer beispielsweise 1 fl. pro Tag verdienen, von der Beschränkung der Frauen­arbeit so wenig wie wir etwas wissen wollen. Die Letzteren nehmen lieber die Ar­beitslast der doppelten Verpflichtung, ausser dem Hause und in der Familie auf sich, als dass sie mit dem kargerf Lohn von 1 fl. für den Tag Wohnung, Beheizung, Nahrung und Kleidung für die ganze Familie zu beschaffen suchen. Denn nichts ins Haus bringen, nichts verdienen, bedeutet hungern-. Das doppelt arme Weib des Armen hat in dem schweren Bedenken zu entscheiden: ob es für sie und ihre Kinder nach­theiliger ist, wenn sie sich überarbeitet und dabei die Kinder den fremden Nachbarn anheimgibt, oder wenn sie sainmt ihren Kindern an Nahrungsmangel leidet. Die bet­telnden Mütter an den Kirchenthüren und in den einsamen Gassen haben sich für