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tären Bedürfnissen der Bevöllkerung zu genügen. Es bedarf wohl nur eines objektiven Blickes auf die misslichen sanitären Verhältnisse der Landbevölkerung, um sich zu überzeugen, dass eine dringende und ausgiebige Hilfe nöthig ist, um die herein­brechende Verschlimmerung des Sanitätsdienstes in den Landgemeinden hintan­zuhalten.«

Dieser Sanitätsbericht stimmt mit meinen Erfahrungen überein; er betont die Xoth an Gemeinde-Aerzten, die Verschlimmerung des Sanitätsdienstes, er spricht es aus, dass Hilfe dringend nöthig ist, und dass trotz der bewilligten Subventionen Aerzte für die Landgemeinden nicht zu beschaffen waren. Dieser Bericht des Lan­desausschusses lässt für Aspirantinnen der Medicin nichts zu wünschen übrig, als dass die Posten, welche das Land und die Gemeinden zu vergeben haben, verlockendere wären. Denn, dass die abgeschiedene Lage von den Kulturcentren und gleichzeitig die mühevolle und wenig einträgliche ländliche Praxis nicht verlockend sind, wird man annehmen müssen, bedenkt man den Ueberfluss von jungen Medicinern in den Städten. Demungeachtet ist dieser Aerztemangel auf dem Lande für die Frauen eine »Aussicht«. Die Frauen, welche als Pionniere neue Bahnen gehen wollen, müssen sich bescheiden, sie müssen bescheiden sein und tüchtig zugleich; tüchtig vor Allem. Es wäre ganz verkehrt, wollten wir durch übelverstandene Humanität die Mittelmässigkeit mit der Frau befürworten. Die Mittelschulen und die Universi­täten haben nur Mädchen von entschiedener Begabung zu betreten. Bescheiden und tüchtig wäre die Medicinerin auf dem Lande ein unermesslicher Segen.

Heute freilich verfügen wir noch nicht über solche Aerztinnen, die Aerztin ist überhaupt noch eine grosse Seltenheit in Oesterreich. Für Bosnien konnte bis jetzt eine einzige gewonnen werden. Minister Kallay Hess als Chef der bosnischen Landes­verwaltung im Vorjahre in schweizerischen Blättern eine Concurrenz ausschreiben zur Besetzung einiger Regierungsposten mit weiblichen Aerzten. Dies scheint mir von Be­deutung, wenn auch die Aerztinnen nur für das Occupationsgebiet und für mohame- danische Frauen gesucht wurden. Die Nachfrage nach denselben ging doch von einem österreichischen Minister aus und die österreichische Regierung bestellte mittelst De- cret Frl. Anna Bayer in Bosnien zum Arzte. Die Dame erfüllt als Tschechin die Be­dingung, einer slavischen Sprache mächtig zu sein. Sie studirte in Zürich und prak- tizirte zuletzt in Bern. Am 1. Januar d. J. trat sie ihr Amt in Tuzla in Bosnien an.

Der Aerztemangel auf dem Lande und die Initiative des Ministers Kallay müssen günstig gedeutet werden. Wird man Aerztinnen aber auch Leben und Ge­sundheit der Frauen anvertrauen können, hören wir oftmals sagen. Das Vertrauen zu dem einzelnen Arzte beruht und wird immer auf Persönlichem beruhen. In der Allgemeinheit, wie *ler Zweifel aber oft laut wird, kann er heute schon entkräftet werden. Vor 60 Jahren hätte man noch in Ungewissheit sein können, denn Aus­nahmen zählen nicht und die Heilkünstlerinnen, welche man durch alle Zeiten nannte, waren Ausnahmen. Ganz anders ist es gegenwärtig. Nicht nur müssen die Aerztinnen wie die Aerzte durch alle strengen Prüfungen hindurch, sondern auch ihr Wirken hat den Befähigungsnachweis erbracht. In Amerika praktiziren gegenwärtig 8000 Aerz­tinnen. In England gab es schon 98 praktische weibliche Aerzte, als im Jahre 1885 die Frauen daselbst die Gleichberechtigung zum Universitätsstudium erhielten. In Schweden, wo die gemischten höheren Schulen befürwortet werden, das ist ein ge­meinsamer Unterricht für Knaben und Mädchen, ist die Medicinerin auch nicht mehr unbekannt. In Deutschland praktiziren je eine oder zwei in den grösseren Städten. In