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Wenn man aber so alt geworden, wie ich nun, und nicht gerade die moralische und physische Disposition eines Bismarck oder Gladstone hat, den beiden, be­kanntlich trotz ihren hohen Alters, noch jugendlichen Heissspornen, so gibt man es doch, wenn auch nur sehr schweren Herzens, endlich auf, einen Kampf besonders mit den gewissen dunkeln, will sagen Verfinsterungs-Kreisen, wieder aufzunehmen. Dorthin führende Themata liess ich daher sogleich fallen.

Ich wollte mir nur ein friedliches erwählen. Deshalb erwog ich nach links und nach rechts. Allüberall aber, wo die n aturhistorische Erkenntniss, die einzig richtige des Menschenthums, zu vertreten war, gab es zahlreiche Elemente zum Kampfe !

Da, eines Abends spät, vor zwei Monaten, mit mir selbst berathend, entschlief ich endlich und hatte folgenden Traum; einen Traum, den ich, ich möchte sagen, in kleinerem Massstabe, einst schon als angehender Medicinae Studiosus geträumt hatte, damals als ich meine Gehirnstudien begann. Mir träumte nämlich jüngst, Ende April 1892, Folgendes:

Ich war in eine Riesenhalle getreten, von wunderbarer Art, eine Halle von oben her in einer Weise beleuchtet, wie man auf Erden derartig Licht nicht sieht.

Am hinteren Ende dieser Halle stand eine Frauengestalt, etwa sechsmal so gross wie ich und von unsagbarer Schöne, in Worten nicht zu schildern, mit saphir­blauen Augen, welche Strahlen aussandten, dass sie mich, den kleinen, winzigen Sterb­lichen zu Boden leuchteten. Ueber dem strahlenden Haupte dieser weiblichen Gestalt zitterte in ganz eigenthümlicher Weise eine Schriftlinie, das Wort, »Natur«.

Zu beiden Seiten dieser Gestalt nun war je ein gigantischer Wolkenballen zu sehen. Ich stand zagend und wie verloren. Da rief mir jene Frauengestalt zu: »Menschling, nähere Dich mir!« Das war nun, wie Sie wohl hören, eine recht Richard Wagnerische Apostrophe.'"(Heiterkeit.)

»Menschling, schreite nur muthig vorwärts,« so klang es weiter mit orgel­artigem Ton. Zu muthig war ich eben nicht, die Scenerie bewegte mich in eigen­thümlicher Weise.

Ich, der ich mich seit meiner Jugend mit Naturforschung beschäftigt habe, sah die ewige Mutter Natur selbst vor mir. Ein ehrfurchtsvolles und zugleich banges Gefühl durchzuckte mich. Gebeugten Hauptes schritt ich vor.

Als nun die Gestalt und die beiden Wolkenballen zu deren Seiten nur noch in geringer Entfernung von mir waren, entstand plötzlich ein eigenthiimliches Ge­räusch in den Lüften und die Natur rief mir zu: »Schau hieher, Menschling, schau ie rechts und je links!«

Die Wolkenballen waren plötzlich verschwunden und es standen zwei riesige Krystallschalen da, in deren jeder ein Gehirn lag, ganz gleich diesem (hier zeigte Professor Brühl ein in Alcohol erhärtetes menschliches Gehirn; die Red.), in eigen- thümlichem opalfarbigen Glanze leuchtend, und zwar in einem Schimmer, den ich bis dahin auf Erden nicht gesehen. Es waren zwei menschliche Kolossal-Gehirne, eines in der Krystallschale rechts, eines in jener links, die auf den ersten Blick ganz gleich aussahen.

»Schreite noch näher, Menschling!«, rief nun die Natur, »schau diese beiden Gehirne an: das Eine ist ein weibliches, das Andere ein männliches. Bestimme nun, der Du Dich Dein Lebelang der Anatomie des Menschen und Thieres gewidmet hast, das Geschlecht beider Gehirne!«

Ich war in nicht geringer Verlegenheit. Denn soviel ich vom Menschenhirne