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von zwei ihm vorgelegten Gehirnen verschiedenen Geschlechtes richtig zu bezeichnen, welches das männliche und welches das weibliche.

Sie sehen hier ein frisches Menschen-Gehirn.') Wenn man dieses nun einem, auch dem gewiegtesten Anatomen vorzeigt, ohne ihm dessen Herkunft zu sagen, würde er ganz bestimmt dasselbe, auf die Angaben jener Münchner Anatomen sich stützend, als das Gehirn eines Mannes und noch dazu als das eines wahrscheinlich geistig sehr entwickelt gewesenen Mannes bezeichnen.

Dieses hier vorliegende Gehirn ist nämlich ein formell vortrefflich ausgebil­detes, ja in jeder Form-Beziehung musterhaftes. Und wem gehört es: einer im allgemeinen Krankenhause gestern verstorbenen T a g 1 ö h n e r i n. Was wir unter einem formell trefflich entwickelten Gehirne verstehen, werden wir später ein wenig, so weit die Zeit reicht, kennen lernen.

Hier aber sehen Sie ein sicheres männliches Gehirn. 2 ) Wenn man nun diese beiden Gehirne, das frische und das Spiritusgehärtete, formell, d. i. bezüglich ihrer verschiedenen Form-Einzelnheiten vergleicht, so muss man augenblicklich sagen, dass dieser Mann von der Natur weit weniger bezüglich Gehirn bevorzugt wurde, als jene F'rau, die noch dazu eine Taglöhnerin war!

Vom anatomischen Standpunkte ist es auch ganz erklärlich, dass ein ordinäres Weib ein formell vortrefflich entwickeltes Gehirn haben könne.

Nebenbei bemerkt, meine Damen, was ich Ihnen hier von Präparaten biete, kann man nicht eigentlich eine lehrreiche Demonstration nennen. Gehirn-Demonstra­tionen überzeugender, eingehender Art, kann man nur mit einem kleinen Publicum, höchstens i520 Personen, unternehmen. Sollte ich im nächsten Winter noch leben, so werde ich gerne in einem grösseren Zimmer meiner Wohnung einer kleinen Anzahl von Damen Gehirn-Demonstrationen geben. (Bravo-Rufe; die Red.)

Damit Sie aber doch einigermassen einsehen, warum ich früher sagte; dass dieses frische Gehirn jenes der Taglöhnerin, ein schönes, und das männliche Spiritus- Gehirn ein viel weniger schönes ist, will ich kurz andeuten, was wir Anatomen unter den Worten »formell schön« oder »gutes Gehirn« verstehen. Beachten Sie aber noch wohl, was ich jetzt hervorhebe. Die formelle Schöne oder Güte des Gehirnes ent­scheidet noch gar nicht über den wahren Werth desselben. Sie bestimmt nur einigermassen das Urtheil, welches der Kenner über ein Gehirn dem Anscheine nach fällt.

Das menschliche Gehirn hat öberflächilich, wie Sie hier leicht sehen, Bas-reliefs ähnliche Erhebungen (Wülste) und Vertiefungen (Furchen) zwischen diesen. Die Er­hebungen heissen »Windungen« (gyri), die Vertiefungen »Furchen« (sulci). Man lehrt nun : je reicher an Windungen ein Gehirn, desto entwickelter, desto »formell schöner« ist es.

Darum sagte ich früher, das vorliegende weibliche Gehirn sei schöner als das männliche; das weibliche ist, wie Sie sehen, sehr reich configurirt, zeigt viel mehr und reichere Windungen (nach Zahl aller und Schlängelung der einzelnen) an seiner Oberfläche, als das hier vorliegende männliche.

Ich betone nun: es ist unmöglich, aus Zahl und Form der Windungen zu er­kennen, ob man ein männliches oder weibliches Gehirn vor sich habe. Ich betone dies mit der grössten Entschiedenheit, nach vielfachsten, am Secirtische von mir gesam-

f) Professor Bijiihl zeigt bei diesen Worten ein solches (die Kedaction).

: i liier zeigt Professor Brühl ein anderes in Spiritus gehärtetes Gehirn (die lle- daction).