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melten Erfahrungen. Wenn Sie alle Anatomen der Welt befragen, so können diese, soferne sie nicht schwindeln, keine bestimmten Anhaltspunkte geben, wie man nach Form und Zahl der Windungen die Geschlechter unterscheiden könne.

' Wir wollen auch erwähnen, was jüngst ein Schüler Bischoffs, abgesehen von den Windungen, gegen die Frauen, respective gegen ihr Hirn vorgebracht hat.

Diese Furche des Gehirnes hier (Professor Brühl zeigt sie an einem mensch­lichen Spiritus-Gehirn; die Red.) heisst die S v 1 v i u s-Spalte, nach einem alten Anatomen der sie zuerst signalisirt hat. Diese an der Seitenfläche des Gehirns befindliche lange Furche, welche die ganze Gehirnmasse gleichsam in zw r ei Abtheilungen, in eine vor­dere mehr obere, und eine hintere mehr untere, zu theilen scheint, hat nun an ihrem vorderen unteren Ende mehrere verschiedentlich entwickelte vordere Ausläufer. Aus der Gestalt, Zahl und Länge dieser übrigens sehr nebensächlichen kurzen Furchen soll sich, nun nach jener Münchner Angabe, ein neuer Beweis für die Inferiorität des F r a u e nhirnes nachweisen lassen. Der vielfachste Wechsel aber dieser vorderen F'urchen- Ausläufer, den ich auch beim Mannes hirne gesehen, erlaubt nicht, aus ihnen auch nur den allergeringsten Scnluss auf Hirnunterschiede nach dem Geschlechte zu machen.

Ein weiterer vorgeblicher, gegen die formelle Gleichheit des Frauen- und Manneshirnes sprechender und von München aus sehr betonter Umstand ist von Bischof Fs Nachfolger auf der Münchner anatomischen Lehrkanzel, Herrn Dr.- dinger, vorgebracht worden. Herr Rüdinger, ein Anatom übrigens der allerbesten Art, ein überaus fleissiger Arbeiter, der, man kann sagen, Tag und Nacht am Secir- tische sitzt, die feinsten Nerven ausmeisselnd, ein wahrer Künstler in mechanischer Beziehung, hat von seinem verstorbenen Herrn und Meister B i s c h o f f die Aufgabe übernommen, das Frauenhirn herabzusetzen und hat nun geglaubt, einen sehr schla­genden Beweis für diese Aufgabe in Folgendem gefunden zu haben.

Professor Rüdinger hat nämlich ein Paar Z w i 11 i n g e verschiedenen Ge­schlechts auf ihre Gehirn-Contouren untersucht. Da diese beiden Zwillirtgs-Individuen, Mädchen und Knabe, fast zu gleicher Zeit (wenige Minuten Unterschied) geboren waren, konnten Gehirn-Verschiedenheiten nicht auf verschiedene Entwicklungszeiten zurückgeführt werden. Von den Gehirnen dieser Zwillinge berichtet nun Herr Rü­dinger: in dem Knaben-Gehirne waren gewisse Windungen und Furchen, speciell die Sylvius-Spalte weit mehr entwickelt, länger und grösser, als in jenem des Mädchens. Hieraus zog er nun sogleich, nach Meister Bischoff, gleichsam zu dessen Deckung, den Schluss: durch diese Zwillinge ist der Beweis für die Inferiorität des weiblichen Gehirnes gegeben, da beide Individuen, Mädchen und Knabe, in derselben Zeit und von denselben Eltern entstanden, und siehe da: das eine, das männliche Hirn ist formell viel (?) reicher entwickelt als das andere, weibliche. Ergo, quod erat demonstrandum: das Gehirn der F'rau steht niedriger etc.

Professor Rüdinger hat aber schon im Jahre 1S77, in welchem seine bezüg­liche Schrift vom Gehirnunterschiede der Zwillinge erschien,) versprochen, das, was er an den Zwdllingen gesehen, »auch an Erwachsenen eingehend zu begründen« (seine eigenen Worte), also auch an Erwachsenen nachzuweisen, dass das ausge­bildete Gehirn der beiden Geschlechter formell verschieden und dass das

) Futer dem Titel:Vorläufige Mittheilungen über die Unterschiede der (frossliirn- windungen nach dem Geschlecht bei Fötus und Neugebornen mit drei Tafeln München 1877 .