weibliche Gehirn niedriger organisirt sei, als das männliche. Im Jahre 1877 hat er dies versprochen und bis heute 1892, also 15 Jahre später, ist das verheissene Buch noch nicht erschienen, und wird auch wohl kaum jemals erscheinen.

Ich frage nun: wie konnte ein so routinirter Anatom, wie Herr Rüdinger, aus einem einzigen Zwillingspaare ein Urtheil schöpfen, welches beweiskräftig darthun soll, dass das männliche Gehirn höher, das weibliche niedriger sei ? Kann dies Eine Zwillingspaar sich nicht nur zufällig so verhalten ?

Deshalb schrieb ich schon 1878, in meiner mehrfach citirten Schrift »über das Gehirn der Säugethiere etc.« (Seite 8486, Anmerkung): »ein Beweis, wie ihn Rüdinger vorbringt, ist absolut keiner, und es ist wirklich unverständlich, wie ein Gelehrter vom Range Rüdingers Derartiges auftischen könne«. Ich habe damals wörtlich hinzugefügt (a. a. O., S. 86): »Eine typische Differenz der Gehirne be­steht ganz gewiss nicht in deren Bildungsgesetzen für die Grosshirnwin­dungen der beiden Geschlechter; es gibt wohl individuelle Windungsdifferenzen in zahlloser Menge unter den verschiedenen Individuen beiderlei Geschlechtes, aber es gibt gewiss keine von der Natur eingesetzten typischen sexuellen, d. h. solche zwischen den Geschlechtern«. Ich fuhr damals fort:

»Unterrichtet Euere Mädchen gehörig und in einigen hundert Jahren wird man über anatomische Untersuchungen, wie die des Herrn Rüdinger, nur mitleidig lachen können.«

Nun noch ein neuer schlagender Beweis für das, was ich 1878 gegen Herrn Rüdinger schrieb, aus allerj üngster Zeit. Im Jahre 1890 hat ein junger, höchst talentvoller und gewissenhafter anatomischer Schriftsteller, Dr. Eber stalle r, dermalen Stadtphysikus in Graz, ein kleines Buch über das'S t i r n h i r n geschrieben; so heisst nämlich der vorderste Theil des Gehirnes. Hr. Eberstaller theilt nun in diesem Buche mit, dass auch er ein neugeborenes Zwillingspaar auf ihre Gehirnbildung un­tersucht habe. In diesem Falle waren beide Zwillings-Individuen Knaben. Von diesen beiden männlichen Zwillingen nun hatte der eine ein 85 mm., der andere ein 86 mm. langes Gehirn. Das erstere wog 900 Gramm, das letztere 1000 Gramm. Das Kind mit dem leichteren Hirn lebte zwei Tage, jenes mit dem schwereren nur einen.

Prof. Rüdinger bezeichnete in der früher citirten Schrift, wie erzählf, das

männliche seiner Gehirn-Zwillinge als das bessere, das weibliche als das min-

denverthige. Drücken wir dieses Verhalten der Rüdi nge r'schen Zwillinge so aus:

~f- O

() (Zeichen des männlichen Geschlechtes) mit -j- Qualität und das weibliche, -(-, als

inferiores, mit. Stellen war nun Rüdinger's und Eberstaller's Aussagen über die

Gehirn-Qualitäten der Geschlechter bildlich kurz zusammen:

f- . ,

R ü d i n g e r's Zwillingspaar : <) Gehirn : -y-; -(-Gehirn : ;

Eberstalle rs Zwillingspaar: 1. ^Gehirn: -j- ; 2. "o Gehirn:.

Wir sehen hieraus, dass die zwei männlichen Zwillings-Individuen Eber­stal 1 e rs sich bezüglich des Gehirns ebenso verschieden verhalten wie die verschieden­geschlechtlichen Zw'illinge R ü d i n g e rs. In Eberstallers Zwillingspaar hatte Ein Knabe, nach Rüdinger's Anschauung, eine männliche Gehirnentwicklung, der andere eine weibliche. Was würde nun da Herr Rüdiger bezüglich der Gehirn-Unterschiede Vor­bringen können ?

Herr Eberstaller bemerkt ganz richtig zu seinem Zwillingsfunde: »ich