ganz dieselbe Nervenzellen-Zahl besitzen, also entweder ein gleich windungsreiches, oder wenigstens gleich zellenreiches Gehirn (durch eine mehrfache Zellenschicht-Anordnung bei weniger Windungen), und doch sind die Gehirne beider Menschen ganz ver­schieden leistungsfähig.

Viele Leute, Laien und Fachmänner, glauben freilich nicht an verschiedene Qualitäten der Nervenzellen in geistiger Beziehung, aber mit Unrecht, wie ich schon in meiner (S. 32) citirten Schrift von 1878, S. 25, nachdrücklichst hervorgehoben habe. In den Nervenzellen ist wohl das grösste Wunder aller Schöpfungsgebilde gegeben, denn, so nehme ich als sicher an, es existiren von Anbeginn im Gehirne : Musikzellen, Ge- dächtnisszellen, Mathematikzellen, Fantasiezellen etc. Nach meiner Ueberzeugung gibt es so viele verschiedene Z e 11 e n - A r t e n, als es verschiedene psychische Grundfahig- keiten und sogenannte Talente für Künste und Wissenschaften gibt. Was man ange­borenes Genie nennt,- ist^nichts. anderes_als der Besitzvon- gewissen Zellen-Arten, deren specielle Qualität eben darin besteht, dass sie das psychische Material für eine besondere Kunstart, eine besondere wissenschaftliche oder künstlerische Fähigkeit enthalten; freilich auf eine noch nicht erklärbare Weise. Denn es sieht mikrosko­pisch ja eine Gehirnzelle wesentlich so aus wie jede andere; die Unterschiede, die in der Grösse, Form und Fortsätzezahl sich finden, sind, wie man sagen muss, nur ganz nebensächlicher Art. Man ist daher auch nicht im Stande, mit dem Mikroskop eine Zelle von der anderen m er i torisch zu unterscheiden. Man kann nicht einmal eine Bewegungs- oder eine Empfindungs- oder eine psychische Zelle auch nur entfernt sicher als solche feststellen; geschweige eine musikalische, mathematische oder Fan­tasiezelle formell erkennen.

Das eben über die Nervenzellen Gesagte ist nun die w ah r h af t naturhisto­rische Grundlage alles dessen, was man bei Beleuchtung der eventuellen Gehirnunter­schiede von Mann und Frau in's Auge zu fassen hat. Kein Anatom hat bisher die Gehirn­zelle einer Frau von jener eines Mannes unterscheiden können. Hiemit hört eigentlich auch jedes ernstere Suchen von Gehirn-Unterschieden der Geschlechter für den leiden­schaftslosen, wirklich naturhistorisch vorgehenden Forscher auf. Denn die Unmöglich­keit, Unterschiede des Grundmaterials des Gehirns, der Nervenkugeln und Nervenfasern, bei Mann und Frau zu finden, enthebt von weiterer Forschung über, wenn vorhanden, (was ich ganz entschieden läugne) gewiss nur nebensächliche formelle Differenzen. In wie weit diese letztere Behauptung im Detail zu begründen ist, kann ich wegen Zeit­mangels in dieser schon ziemlich lang dauernden Vorlesung hier nicht ausführen, verweise daher hierüber nur auf meine Schrift vom Jahre 1878.

Wir wissen nun, was über das Gehirn ob dessen Bedeutung für unsere Sache vorzubringen ist, und müssen uns nun endlich dem eigentlichen, im Titel angedeuteten Zwecke unserer Vorlesung zuwenden.

Wir haben nämlich noch immer Nichts von der Bedeutung, der Stellung, den Aufgaben und Rechten der Frauen auf Grundlage der Gaben der Natur gesagt. Bezüglich dieser Gaben wissen Sie nur zunächst, dass Sie ein Gehirn besitzen, welches Manche von Ihnen ganz gehörig geltend zu machen verstehen, und welches durchaus nicht weniger werth ist, als ein männliches. Sie wissen dies, sofern Sie dem Gehörten Glauben schenken. Sie besitzen aber noch andere Gaben der Natur, welche Sie ohne weitere Erörterung nicht so gläubig als vortheilhaft auffassen würden, wie die Gehirn-Beschaffenheit. Von diesen sollte ich nun auch sprechen.

Es sind dies jene anatomisch-physiologischen Eigenthümlichkeiten, welche die

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