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Jahre war ihr Lerneifer, ihre musterhafte Führung, ihre glänzenden Studienerfolge unsere Freude und in sorgenvollen Stunden Trost, sowie eine Bürgschaft dafür, dass wir auf dem rechten Wege wandeln. Mögen Sie jetzt, wo sie einer wichtigen Entscheidungsstunde entgegengehen, aus­harren in Muth und Selbstvertrauen! Sorgfältig und gewissenhaft vorbe reitet durch langjährigen ununterbrochenen Fleiss, gehen sie der Prüfung entgegen. Sie kann und muss ihnen wohlgelingen.

Und die so lange vor den Frauen streng behüteten Pforten der Hochschule werden sich ihnen erschliessen; als vollberechtigte akademische Bürgerinnen werden sie einziehen in die Räume der ehrwürdigen heimischen Universität. Ich zweifle keinen Augenblick, dass ernstes Streben sie dorthin geleiten wird, und dass muthvolles unentwegtes Fortschreiten auf der bisher beschrittenen Bahn sie ihrem Ziele Zufuhren wird. Die reichsten Schätze des Wissens sind ihnen zugänglich, mögen sie dieselben verwerten zur Förderung ihres eigenen Glückes, und mögen sie dieselben erwerben zum Wohle der Menschheit! Gedenken sie in Treue dieser Anstalt, die mit vieler Mühe und nach Besiegung zahlreicher Schwierigkeiten ins Leben gerufen wurde, und möge von der Ehre, die sie sich erwerben, ein Wiederschein auf die Schule zurückfallen, die sie heute verlassen. Möge Heil und Segen sie geleiten!

Die Schlussrede des Directors Dr. Emanuel llannak galt dem wichtigsten Ereignisse dieses Schuljahres, in welchem die gymnasiale Mädchenschule die ersten Schülerinnen bis zur Pforte der Universität geleitet hatte. An die Scheidenden wendete er sich insbesondere, indem er sprach:Mit dem heurigen Jahre ist der sechsjährige Cyclus des Mädchengymnasiums abgeschlossen, und in wenigen Tagen werden unsere Abiturientinnen die Maturitätsprüfung ablegen.

Damit ist zum erstenmale das Ziel erreicht, das die Schülerinnen der Anstalt beim Eintritte in dieselbe im Auge hatten; damit ist aber auch ein gewichtiger Schritt in der Entmündung des weiblichen Ge­schlechtes nach vorwärts gethan. Dieses Streben nach Emancipation oder Entmündung der Fraueu ist nicht etwa eine Laune der Frauenwelt; nicht dem zufälligen Auftreten hervorragender Persönlichkeiten, nicht einmal der Macht herrschender Freiheitsideen zu danken: sie geht wie alle geistigen Bewegungen der Geschichte mit Naturnothwendigkeit aus den äusseren Verhältnissen hervor. Die Nothwendigkeit (avavr t r,) auf menschliche Verhältnisse angewendet,die Noth ist es, welche diese Bewegung hervorgerufen hat. Und wie der vierte Stand gegenwärtig nach Gleichstellung mit den übrigen Ständen ringt und kämpft, so timt dies auch das jahrtausendlang zur Unterordnung verurtheilte Frauengeschlecht. Deshalb sieht man, dass die verschiedensten Mittel und Wege zur Eman­cipation des weiblichen Geschlechtes eingeschlagen werden: Die einen suchen die Frauenarbeit zum Manipulationsdienste bei der Post, den Eisenbahnen, in Buchhaltungen, Kaufläden zu verwerten, und mit Erfolg; eine andere Richtung hat den Frauen die ihnen congenialen Gebiete der Erziehung und des Unterrichtes erschlossen, und hierin ist unser Vaterland dem benachbarten deutschen Reiche, das so häufig als Vorbild unseres