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Fortschrittes gilt, weit vorangegangen; denn die Stellung der Lehrerinnen ist in Österreich viel günstiger als in Deutschland.

Aber die würdigste Emancipation des Frau enge­schlechtes hat sich der Verein für erweiterte Frauenbildung vor­gezeichnet, indem er es unternahm, den Frauen in Österreich den Zutritt zu den sogenannten gelehrten Studien zu eröffnen und also ihren Wett­bewerb auf jene Stände zu erweitern, an deren geistige Bildung die höchsten Ansprüche erhoben werden. Um dieses Ziel zu erreichen, musste er ihnen die Möglichkeit erschlossen, die höchste Schule des Reiches, die Universität, zu besuchen. Dies war jedoch nur möglich, wenn sie die Maturitätsprüfung, die unerlässliche Bedingung zu der Aufnahme an der Hochschule, ablegen konnten.

Diesem Zwecke dient seine gymnasiale Mädchenschule. Als diese vor 6 Jahren eröffnet wurde, konnten wir hoffen, dass dem Zuge der Zeit und dem Beispiel anderer Länder folgend, auch Österreich seinen Töchtern die Pforten der Universität erschlossen werde. Heute ist dieses Hoffen bereits erfüllt, ihnen die Immatriculation an der Universität ge­stattet, allerdings noch mit Beschränkung auf die philosophische Facultät 5 aber der Zutritt zu den anderen Vorträgen ist ihnen nicht verwehrt. Und gewiss ist es nur eine Frage der Zeit, dass auch die medicinische Facultät ihnen eröffnet werde. Denn selbst in Deutschland, wo die dem Frauenstudium ungünstigste Strömung besteht, hat jüngst ein Universitäts­professor an der medicinischen Facultät in Würzburg, zugleich Director des dortigen hygienischen Institutes, Dr. Lehmann, für das medicinische Studium der Frauen entschieden Partei ergriffen. Ein wichtiges Argument zugunsten der Gleichstellung der Frauen mit den Männern in Bezug auf die Universitätsstudien liefert unsere Schule durch den heurigen Abschluss des Gymuasialstudiums: trotz der Verkürzung der Lehrzeit, trotz der genauen Durchführung des Gymnasialenlehrplanes gelang es den meisten der in den sechs Jahren eingetrenen Schülerinnen, das Lehrziel vollständig zu erreichen.

Dabei verloren sie nichts an ihrer körperlichen und geistigen Frische. Im Gegentheil hat die regelmässige ernste Arbeit ihren Geist so günstig beeinflusst, dass bei ihnen sich nichts von der Blasiertheit, die so häufig die Mädchenwelt ihres Alters kennzeichnet, zeigte, sondern vielmehr jener muntere Sinn sich offenbarte, der den zielbewussten, pflichteifrigen Studenten charakterisiert. Darum wende ich mich an Sie, meine lieben Schülerinnen des VI. Jahrganges, um Ihnen zunächst meine Anerkennung auszusprechen. Sie hahen Ihre wichtige Aufgabe erfasst und an ihr mit Ernst und Aus­dauer gearbeitet. Mögen auch manche weibliche Schwäche Ihnen angehaftet haben, sie wurden weitaus überwogen durch den Eifer, mit dem sie arbeiteten, durch die Willigkeit, mit welcher sie unseren Weisungen folgten. Und wie überhaupt die humanistische Bildung das Gemiith adelt, so kann ich auch Ihnen das Zeugnis geben, dass wir, Ihre Lehrer, durch alle Jahre hin­durch keinen Zug eines rohen, unweiblichen Gemüthes begegneten, insbe­sondere trat auch bei Ihnen die schon von den alten Philosophen erkannte Thatsache zutage, dass das Wissen bescheiden mache. Je mehr der Mensch gelernt hat, desto mehr erkennt er, wie viel ihm fehle.