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Stämmen, wilde Kirschen aus dem freiesten und wildesten Garten im Süden, die mit ihren braunen, geschmeidigen Leibern eines Tages in den Polstern des Gunstdivans im Harem verschwinden und deren Seele ein verzaubertes, schlafendes Märchenkind geblieben ist.

Die georgischen Frauen im Gegentheil stehen unter sehr strengen Sitten­gesetzen. Es gibt Provinzen (z. B. Abchasien), wo die Neuvermälte mit ihrem Mann ein Jahr nicht spricht aus Ehrfurcht; wo der Gatte sich nie mit seinem Weibe oder Kinde öffentlich zeigt, aus Scham; die mingrelischen Mädchen waschen noch heute die Füsse der Gäste vor dem Schlafengehen und schneiden sich das Haar, wenn sie den Gatten verlieren. Bei den Svanen im Gebirge und Guriern sind die Ge­bräuche liberaler. Die Frauen stets zu Pferde betheiligen sich an den Geschäften des Mannes, sie sind waghalsige Jägerinnen und tüchtige Reiterinnen, unerschrocken im dichtesten Wald und bei dem grössten Ungewitter, stets bereit, einer Gefahr zu trotzen, ja sogar eine Gefahr heraufzubeschwören. Sie sind die treuesten und besten Freundinnen der mingrelischen Räuber, dieser seltsamen Verächter bürgerlicher Gesetze, die das Volk nicht fürchtet, sondern verehrt, und deren Überfälle manch heiteren Stoff zu Legenden liefern; die dem Reisenden mit grösstem Humor und Witz sein Geld abnehmen, um es einem anderen zu schenken.

Vor allen anderen Stämmen ist der Mingrelier abenteuerlich veranlagt. Der Mingrelier kann auch Pferde stehlen. Das steckt im Blute. Bei Tschotschua z. B. ist ein prächtiges, theures Pferd! »Ach, denkt Dutu, wie ich nur zu diesem Prachtthier kommen könnte!« Aber Tschotschua ist schlau. Er lässt sein Pferd keine drei Schritte von sich, es ist bewacht Tag und Nacht; Tags von ihm und Nachts von einem Hunde, der wirklich keinen Spass versteht.

Dutu sinnt und sinnt, er isst nicht, er schläft nicht, das Pferd muss er haben, anders ist sein Leben nichts werth. Und eines Nachts steht Dutu am Zaun vor dem Stalle; er klettert in den hohen Feigenbaum und lässt von oben langsam am Seile einen grossen Käfig herab. In diesem Käfig vor einer Fallthüre liegt das schönste File aus Poti, das er kaufen konnte. Die böse Bestie im Hofe wittert und springt um die Holzkiste herum, es wird ihr unmöglich zu widerstehen, sie beisst an, zwängt sich durch das Loch hinein, um den ganzen Braten still zu verzehren, die Thüre schnappt zu und Dutu zieht das Vieh im Käfig an den Baum herauf, hier bindet ers fest. Und dann springt er herunter. Das Pferd zu bekommen, ist ihm eine Kleinigkeit.

Tschotschua kommt am Morgen zum Stalle. Er hört einen eigenthümlichen Gesang vom Baume herab! »Was für ein Vogel hängt denn da im Geäst?« denkt er und schneidet den Strick los. Der Kasten fällt herab, zertrümmert die Wand und sein treuer Wächter stürzt heulend aus dem Gefängnis. Tschotschua weiss sofort, was das bedeute.

»Macht nichts. Ich bekomm's schon wieder, mein Pferd,« denkt er schmun­zelnd. So spielen sie ganze Jahre mit ihren Pferden, einer holt sich sie beim anderen! Grosse Kinder einer sehr nachgiebigen Natur! Und mit dem Mingrelier geht auch die grosse, starke, gluthäugige Mingrelierin auf die endlosen Weiden hinaus und schwingt sich federleicht auf den Rücken des grasenden Pferdes, führt und reitet es nach Hause und flicht in seine Mähne das letzte, rothe Band aus ihrer Putzlade. Sie weiss den Lasso zu werfen und ohne jeden Sattel stundenlang fortzutollen. Jedoch um diese Thatsache keiner Missdeutung auszusetzen, erwähne ich hier, dass dies eine