harmlos zu beurtheilende Sitte der Provinz ist. Jedenfalls hat der Pferderaub der Min- grelierin nichts gemein mit der banalen Kleptomanie, die Schopenhauer den Frauen vorvvirft, sondern entspringt vielmehr einem heroischen Instinct, einer Sucht nach waghalsigen Unternehmungen, die Mann und Frau dort gleich beherrschen. Doch die­selbe Frau treffen wir vor dem grossen Kessel mit Chomi (einer Art Grütze) hockend, der an einer Kette vom Plafond der Hütte herabhängt über dem offenen Feuer. Und hier, in der rauchigen Idylle ihres Lebens, alte, uralte Weisen einer vergessenen Legende vor sich hinsummend, die gekreuzten Arme um die Knie geschlungen, mit dem verrauften, glänzenden, Haar über der Schulter, in der malerischen Armuth ihrer heimischen Tracht die prächtigen Glieder bergend, so ist sie die zur Sphinx ge­wordene, einstige Medea, die dem modernen Forscher noch viele Räthsel zu lösen geben wird, die Nachfolgerin der ehemaligen Medea, jener Frau, der kein Hemm- niss zu schrecklich, keine Idee zu kühn war, die alles wagen konnte, weil sie alles wagen wollte. Ich habe immer eine Art Beklemmung empfunden vor den schweig­samen, finsteren Mingrelierinnen im Dorfe und jedesmal bedauerte ich, sie nicht malen zu können.

Kein besonderer Jubel umgibt die Wiege des neugeborenen Mädchens. Wenn das rothe, schreiende Geschöpf ein Knabe ist, dann weiss es die ganze Nachbarschaft ringsum auf einige Meilen; denn da schiesst der glückliche Vater all sein Waffen­arsenal von Flinten und Pistolen ab und die Taufe ist ein Festgelage für Geladene und Ungeladene. Selbstredend ist das am Land. In Tiflis schiesst man nicht bei der Geburt kartvelischer Knaben, dennoch sehe ich noch deutlich die Gesichter der neuen Papas vor mir und lese an jedem die schlecht verhehlte Versuchung herab, so rech 1 tüchtig Lärm zu schlagen; aber Tiflis ist doch schon ein grosses Stück Europa, dessen Sitten man so mühsam und so sorgfältig zu civilisiren trachtete und in Europa ist das Taufschiessen aufgehoben, das Todtschiessen ist dafür noch im vollsten Gange. Man muss sich nur über die Nerven der Mutter wundern, deren Schmerzensschrei bei einem solchen Heidengetöse ganz verhallt und ich habe oft die Ahnung gehabt, der tolle Vater werde den Neugeborenen zwingen, sogar selbst loszufeuern ; in der heissen Sonne da unten gibt es so sehr verwischte Grenzen zwischen dem Möglichen und Unmöglichen.

Aber wenn das Neugeborene ein Mädchen ist, haben nur die Frauen ihre Freude. Ein Dutzend beflissener Muhmen und Tanten (und die zählt man bis ins achte Glied) umgeben, die Schaukelwiege und studieren vor allem, wem die Kleine ähnlich sei und ob sie schön werden will. Besondere Aufmerksamkeit lenkt man auf die Augenbrauen. Wie eine prächtige, seidene Feder in einen leise angedeuteten Schwung auslaufend, so zieht die Augenbraue über die grossen Gazellenaugen der Georgierin. Eine blendend weisse Haut bei pechschwarzem, glänzendem Haar das bis an die Knie reicht und eine kleine, feinflügelige Nase sind fast durchwegs bei allen Geor­gierinnen zu finden. Darin liegt der grösste und ausgesprochenste Contrast mit der Armenierin, die alle grosse und fleischige Nasen haben. Im Gouvernement Kutais bis Suchum und Poti herunter gibt es auch zahlreiche blonde Frauen, sogar »rousotte« d. h. kastanienbraunes Haar mit stark rothgoldenem Schimmer. Die Georgierin im Dorfe draussen ist von so berückender Schönheit, dass sie den Einheimischen auffällt; ich finde diese Schönheit im höchsten Grade anmuthig, durchgeistigt und durchaus nicht sinnlich. Die schlanken und über die Mittelgrösse gewachsenen Frauen und Mädchen haben weiche, geschmeidige Bewegungen, zarte Formen und einen unnachahmlichen

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