54

ihrer Pietät; ein neues Weib wird mit neuen Forderungen, aber auch mit neuen Opfern ein besseres Ziel anstreben. Eines weiss ich gewiss: dort unten bleibt beim Aufruf zum Kampf fürs neue Leben keine einzige Seele theilnahmslos, dort werden Alle wollen, wenn auch nicht Alle sofort begreifen.

Mit drei Jahren weiss die georgische Kleine bereits genau, wer Schola Rusta- weli gewesen, dass er das'Buch geschrieben, das im Gastzimmer liegt: »Die Tiger­haut«. Sie weiss vielleicht auch wer der Dichter »Baratoff« war, aber sicher weiss sie, wer llia Tschawtschawadze und Akakiy Zeretelli sind (die zwei populärsten gegenwärtigen Dichter) ; sie kennt die Porträts der vaterländischen Helden, singt herzig Akakins Strophen an »den Dolch« und citiert »Iraklius, des Helden Traum«. Sie wird von den Gästen auf den Tisch gestellt zwischen volle und leere Flaschen (man liebt in Georgien mehr volle Köpfe als volle Flaschen) und hier hebt sie das gefüllte Büffelhorn und trinkt mit einem »Ala verdi« (Gott gebe Gesundheit) vom Traubensaft der heimatlichen Weinberge. »Musia«, fragte ich einst so ein kleines Mädi, »wen hast du lieber, Ilia oder Akakij? Sie sah mich eine Weile an, dann zu den Porträts an der W'and hinauf: »Du sagst ja, sie seien beide Georgier, warum soll ich einen lieber haben ?«

Kleine Jungen, zerrissen und zerfetzt, sitzen mit ein paar schmierigen Mädels am Rasen vor der Rückwand des grossfürstlichen Parkes in Tiflis. Einer der Buben hat ein zerrissenes Heft in der Hand, der andere ordnet wichtig ein paar Blätter. Was spielen wir: Samschoblo oderDadzma? »Heimat« und »Bruder und Schwester«, (die zwei besten historischen Dramen in georgischer Sprache) das erste eine Um­arbeitung des »Grafen von Risoor« vom Fürsten Eristoff, das zweite ein Original­drama vom besten Journalisten und Dramatiker Gounias.

»Hm, weisst du, wir spielen beide zusammen. Zuerst bringt der Bruder die Schwester um, die ihm nicht mehr helfen kann und dann machen wir die Heimat frei.« »Ich spiele Otia Dscholia«, raisonnierte ein ganz verzweifelt wilder Junge, und die Fratzen spielten Theater und ich habe ihnen zugehört und gestaunt. Welche Bemerkungen! Welche Kenntnis technischer Kunstgriffe! Und das sind Naturkinder! Am Fleischmarkt, während der Kinto (Verkäufer) das Fleisch wiegt, improvisiert er. Ich kaufe Grünzeug für 1 Kopeken. Man füllt mir die Hand und meint: »Oho, du hast wohl heute Gäste, weil du soviel kaufst.« In Georgien wird sonst eine Unmasse rohen Grünzeugs gegessen.

»Ach, was isst man dort nicht«, höre ich Sir Vardrop, den britischen Consul in Kertech, sagen.

Der Herr war mit seiner aus England eingetroffenen Familie draussen ausse Tiflis in Orta tschali zu einem grossen Mahle geladen.

Nun bäckt man nämlich in Tiflis eine Art halb Mais- halb Gerstenbrot in Form weisser, dünner und weicher Fladen, die wie Tücher aussehen.

Diese Brote legt man vor jedes Gedeck und nun kriegt man Reis mit Schaf­fett, jeder schüttet sich seine Portion auf das Brot, legt dann Braten dazu, rollt das Ganze omelettenförmig zusammen und bringt dann diesen quasi-Strudel ohne Gabel und Messer in den Mund.

»Mein Gott, sieh!« sagte Sir Thomas zu seiner Schwester, »die Leute ver­schlingen mit dem Essen auch ihre Servietten.« »Desto besser für die Hausfrau«, sagte Miss Madchori, »sie braucht keine zu waschen.«