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ganz ungehindert und mit Hindernissen aus dem Elternhause. Eines hat sich auch hier geändert. Heute ist die Schöne von vornherein einverstanden, ehedem wurde sie geraubt und nicht gefragt.

Auf flinken Pferden stihmen Nachts ein paar Tollköpfe und abenteuerlustige junge Leute mit dem Bräutigam unter das Haus der schönen Dzika und man ruft die alte, sich ewig bekreuzende, seufzende »Nianja« (Wärterin), steckt in ihre knochigen, runzeligen Hände ein Briefchen und ein Geldstück und die gute, weiche Frau wackelt ächzend ins Schlafzimmer ihres Lieblings und thut so geheimnisvoll mitwissend, und Dzika, wie sie dastand vorm Spiegel, mit dem W r ellenscheitel über dem schelmisch­zuckenden Auge, ohne Schleier, die blauseidenen »Kaba« kaum über die Brust fest­gezogen. die kleinen, sehnigen Füsschen in goldgestickten Pantoffeln bergend, so lauft sie neugierig hinaus auf den Balkon und von dort kommt sie nicht mehr als kleine Dzika ins trauliche Mädchenzimmer unter die ewig-flackernde Ampel vor dem Madonnenbilde, nein, Dzika rast mit dem kecken, jungen Entführer über Stock und Stein, festgehalten im Sattel von seinem eisernen und doch zärtlichen Arm, bis an ein fernes Dorf und sein Kirchlein, in dem ein altes, trocknes Greislein als Priester halb schmunzelnd, halb zürnend, ihr Jawort auf ewig mit dem »Ja« des »Räubers« verflicht. Dzika weint und lacht in einem Athem. Ob sie liebt oder nur neugierig ist, ob sie zürnt oder geschmeichelt ist über die waghalsige Frechheit ihres Mannes, Dzika weiss es nicht, aber sie weiss, dass auch ihre alte, runzelige Grossmutter so zum Altar gebracht wurde und vielleicht nach einem sehr ernstlich gemeinten, thatsächlichen Handgemenge erst in die Hände des Entführers ihr Schicksal gelegt hat.

Dzika, Nina, Marine oder Despine, Meteara oder Pepiko, der ganze liebliche Kalender melodischer Frauennamen, sie alle die Töchter des verführerischen Südens da unten mit seinem fast noch unberührten orientalischen Cultus des Herzens, springen aus dem Kinderleben direct in die Ehe und bleiben auch oft in dieser bis ans Todten- bett aufgescheuchte, erschreckte oder verzogene, zärtlichkeitsbedürftige kleine Mädchen. Ihr Herz stockt im Wachsthum am ersten Tage der Ehe und ihre Seele flattert nicht höher als bis zum Horizont des Machtgebotes ihres Beherrschers. Und wie man um sie wirbt! Am Festtage Ilioba, draussen in Saguramo, dem prächtigen Herrensitze des Fürsten Ilia (Tschawtscha-vadze), während einer wochenlangen, grenzenlosen Gastfreundschaft des Gutsherrn, nähert sich vielleicht dem erröthenden, jungen 1415jährigen Mädchen ein flotter Dolchtänzer, oder ein unvergleichlicher Sänger und Improvisator der Tafelrunde, oder ein Dschigit, der im Galopp den Ring der

Auserwählten aus dem Staube zu heben versteht und aufrecht im Sattel über Ab­

gründe stürzt . . . Wer zählt und kennt sie alle die geheimen Künste, die so be­strickend wirken, dass ein Wille dem anderen widerstandslos unterliegt?

Und dann sehen sie sich wieder, in der Kirche, bei Freunden, unerwartet

irgendwo im Freien, mitten im Mondglanze, verführt von der verführten Natur. Viele freilich wählen auch nicht. Einer ist von gutem Adel, ein Anderer reich und Väter und Brüder machen alles Nöthige aus. Die weinende kleine Rascha oder Tasso sieht ihren Mann erst vorm Altäre und erkennt ihn erst ganz in seinem Hause. Aber sie sind nicht unglücklich, auch die so überstürzt Vermälten, wenigstens selten. Es kommt schon vor, dass ein junges Weib verschwindet und tpdt heimgebracht wird, noch öfter, dass der eifersüchtige und gebieterische Mann sein Weib tödtet und kein anderes nimmt, weil er die Todte endlos liebt. Wer würde da fertig mit der Geschichte des Liebeslebens eines südlichen Volkes, dem die ganze Natur, der heisseste Himmel,

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