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einfach untersagt. Ich erwähne den Vorfall überhaupt nur, weil ich nicht pro domo reden, sondern wahrheitsgetreu erzählen will. Ich würde dagegen einen Verrath begehen, wenn ich es andererseits unterlassen würde, hervorzuheben, dass es dem Schweizer Studenten in trefflicher Weise gelungen ist, wenn ich so sagen darf, das Problem des gemeinsamen Studiums beider Geschlechter zu lösen.

Die erste Begegnung mit dem zukünftigen Commilitonen findet gewöhn­lich schon bei der Maturitätsprüfung, welche von den sogenannten Wilden gemeinsam gemacht wird, statt. Nichts schliesst die Menschen so leicht aneinander, nichts ist geeigneter, gegenseitige Vorurtheile zu brechen, als eine gemeinsame Nothlage, und so ist diese Begegnung im Examen durchaus dazu angethan, der jungen Studentin den kommenden ersten Schritt in den Hör­saal zu erleichtern. Sie erblickt bei ihrem Eintritt ein bekanntes Gesicht. Wer zusammen gelitten, ist auch, wenigstens so lange die Erinnerung an das Leiden noch frisch ist, geneigt, für einander einzustehen. Dieser Gedanke gibt ihr Muth: Sie fühlt sich nicht allein. Und so sind unter der Fülle der neuen Eindrücke die ersten bangen Tage bald überwunden. Es will für die Medi- cinerin der Anfang ihrer akademischen Laufbahn etwas mehr bedeuten, als für Studentinnen anderer Fächer; denn wenigstens nach dem älteren Schweizer Lehrplane, dem sich noch mein Studiengang angesehlossen, beginnt sie sofort mit dem Studium der Anatomie. Es ist eine bekannte Thatsache, das selbst kräftigen Männern das praktische Studium der Anatomie, das Präpariren, zuweilen einen so unüberwindlichen Widerwillen eingeflösst hat, dass sie ge­zwungen waren, vom medicinisehen Studium abzustehen und sich einem anderen Berufe zuzuwenden. Um wieviel mehr, sollte man annehmen, müsste der Frau, bei deren Erziehung von Klein auf ein Fernhalten von allem Häss­lichen und Ekelerregenden als Hauptmaxime gegolten, eine solche Beschäftigung geradezu unmöglich sein. Verehrte Anwesende, es kommt bei allen diesen Dingen vor allem darauf an, wie man ihnen gegenübertritt. Eine Sache, der ich mich einfach als Neugieriger nahe, wird ganz anders auf mich wirken, als ein Gegenstand, von welchem ich weiss, dass das Befassen mit ihm die erste Stufe der Leiter, welche zu dem ersehnten Ziele führt, bildet; dass sein Verständniss für mich die Grundlage allen weiteren Strebens bildet. Und dann fesselt der Stoff selbst, der erste Einblick in die geheime Werkstätte der Natur, das Interesse so vollkommen, dass man, sowie man zum erstenmale selbst Hand angelegt hat, nicht mehr der Sache gegenüber, sondern in ihr selbst steht, und alle Nebenumstände, welche verletzend auf das Gefühl wirken könnten, vollkommen vergisst. Als Beleg hiefür diene folgender kleiner Vor­fall, welcher sich während meines ersten Semesters abspielte. Wie an vielen Hochschulen, war auch in Zürich damals Mangel an Leichenmaterial. So kam es, dass ein Theil der Neu-lnscribirten mehrere Wochen ohne praktische ana­tomische Beschäftigung verblieb. Eines Tages erhielt der Professor der Anatomie einen Brief eines Studentenvaters, worin dieser ihn bat, einmal eine Aus­nahme von der Regel zu machen und seinem Sohne, welcher als einer der Letzten auf der Liste stand, baldmöglichst ein Präparat zukommen zu lassen. Sein Sohn habe ihm geschrieben, das Zuschauen bei den Arbeiten der Collegen