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habe in ihm einen solchen Ekel erregt, dass er fürchte, er müsse das medi- cinische Sradium aufgeben. Er, der Vater, hoffe nun, das eigene Handanlegen werde dem Sohne helfen, den Abscheu zu überwinden. Dem Wunsche wurde gewillfahrt und die Hoffnung des Vaters erfüllte sich auf das glänzendste; denn sehr bald war der junge Mediciner einer der eifrigsten und für seinen Stoff begeistertsten Besucher des Präparirsaales.

Doch wir waren ursprünglioh von dem Verhältniss der Studentin gegen­über dem männlichen Commilitonen ausgegangen. Wie gestaltet sich dasselbe im Präparirsaale ? Wenn schon an und für sich ein unästhetischer Anblick doppelt empfindlich wirkt, wenn man gezwungen ist, ihn mit Anderen zu theilen, so kommt hier noch hinzu, dass auf dem Secirboden die Frau zum erstenmale gemeinsam mit dem Manne vor dem unverhüllten menschlichen Körper steht. Verehrte Anwesende! Ich habe auch hier die gleiche Antwort wie vorher; auch hier möchte ich die Erfahrung reden lassen. Mir selbst ist es begegnet, dass, als ich zum drittenmale den Präparirsaal besucht hatte, mir auf dem Heimwege wie zufällig der Gedanke kam: es ist doch merk­würdig, dass sich Dir bei der gemeinsamen Arbeit mit den jungen Leuten noch niemals eine peinliche Empfindung aufgedrängt hat!? So mächtig, so zwingend weiss die Wissenschaft sich unseres ganzen Fühlens und Denkens zu bemächtigen. Vielleicht wäre ihr der Sieg nicht so leicht gemacht, wenn nicht gerade in Zürich noch eins hinzugekommen wäre: der ernste, würdige Ton, der, ausgehend von dem Lehrer, in den Schülern und ich rechne dies den Schweizer Studenten zu besonderem Verdienste an einen Widerhall findend, die dem anatomischen Studium geweihten Räume beherrschte. Mit seltenem Takt hat Professor Hermann v. Meyer es seinerzeit verstanden, der Studentin das Erröthen zu ersparen, und heute setzt sein Nachfolger, Professor Philipp Stöhr, den anatomischen Unterricht in der gleichen, der Würde der Wissenschaft entsprechenden Weise fort. Der verstorbene Münchener Anatom Bischoff hat a priori ohne die geringste persönliche Erfahrung behauptet, das gemeinsame Studium mit Frauen setze die Idealität der Studenten herab. Ich habe während einer mehrjährigen Frequenz des Präparirsaales in Zürich weder in Blick noch Wort jemals eine Roheit bemerkt, wogegen z. B. in deutschen entsprechenden Instituten, in denen keine Frauen arbeiten, wie mir von Augen­zeugen mitgetheilt wurde, die entfaltete Brutalität häufig jeder Beschreibung

spotten soll.-So kommt es, dass gerade die Erinnerungen an den

Züricher Präparirsaal zu denjenigen gehören, bei denen ich am liebsten weile. Ich denke oft zurück an jene ersten beiden Winter, wo in vorgerückter Abend­stunde, wenn der Schwarm sich verlaufen hatte, wir, Studentinnen und Stu­denten, zu dreien oder vieren unsere Bretter mit den Präparaten an einen gemeinsamen Tisch trugen und, ohne uns im geringsten zu stören, sondern nur umso fleissiger und uns gegenseitig ohne Worte, vielleicht durch einen Blick auf das Präparat des Nachbarn, zu erhöhtem Eifer und erhöhter Sorg­falt anspornend, uns der Arbeit hingaben. Wenn die letztere es gestattete, fiel auch wohl ein W r ort, der Ausdruck naiver Freude über die gelungene Arbeit, eine gegenseitige Demonstration, ein gemeinsames Repetiren, oder es kam zu einer kleinen Discussion über Fragen von allgemeinem Interesse. So bildete