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stand, so jetzt am Krankenbett. Auch hier muss* sie sich von Neuem eine Position schaffen. Ob ihr dies leicht oder schwer wird, hängt auch hier wesentlich von dem Lehrer ab. dessen Art und Weise nie ganz ohne Rück­wirkung auf seine Zuhörer bleiben wird. Ich kann es mir nicht versagen, be­sonders hervorzuheben, dass ebenso wie in der Anatomie auch in der Klinik der Schweizer im grossen Ganzen sich stets als auf menschlicher und wissen­schaftlicher Höhe stehend gezeigt hat. Eine besondere Genugthuung gewährte es mir, zu beobachten, als ich mich einmal in der Zwangslage befand, bei einem jungen Assistenzarzt als einzige Dame unter 16 Studenten an einem Frauenuntersuchungscursetheilzunehmen, dass sowohl Lehrer als Schüler gleiches Verständniss für das Peinliche meiner Situation zeigten und durch eine ver­doppelte passive Rücksichtnahme bekundeten. Ich habe wiederholt die Beob­achtung gemacht, dass, wie in der Gesellschaft, so auch bei dem gemeinsamen Studium die Frau den ihr gegenüber anzuschlagenden Ton in vollkommenster Weise beherrscht. Will sie neben der Wahrung der Frauenwürde noch ein gewisses kameradschaftliches Verhältniss mit den Collegen anstreben, so wird sie gut thun, sich möglichster Toleranz zu befieissigen. Die klinische Medicin ist angewandte Wissenschaft. Beim Prakticiren am Krankenbett zeigt es sich, wer mit Nutzen gelernt hat. Eine Blosse gibt sich indess einmal ein Jeder, und nichts ist geeigneter, das gute Einvernehmen zu stören, als eine wenn auch unausgesprochene, rein mimische Kritik des Nachbarn. W 7 ie in der pro- paedeutischen Zeit die collegial en Beziehungen zwischen Student und Studentin gefördert werden durch die gemeinsame Arbeit in den verschiedenen Insti­tuten und Laboratorien, so in der klinischen durch die praktischen, in ihrer Theilnehmerzahl meist beschränkten Curse, vor Allem aber durch eine even­tuelle gemeinsame Assistententhätigkeit. Gern gedenke ich in dieser Hinsicht meiner Unterassistentenzeit an der medicinischen Poliklinik, wo ich häufig mit dem mir coordinirten Collegen nach Schluss der Ordination zusammen auf die Praxis gewandert bin und wir wechselseitig bei unseren Patienten ein Consilium abgehalten haben. Den Höhepunkt pflegt das gute Einvernehmen zur Zeit des Schlussexamens zu erreichen. Auch hier befand ich mich im ver­gangenen Jahr wiederum in der Lage, als einzige Dame unter 15 Herren jene Prüfungszeit durchzumachen. Aber meine Collegen haben mich meine Isolirtheit wenig fühlen lassen. Nicht allein, dass sie jederzeit bereit waren, wo es sich um eine durch die Form des Examens bedingte Verabredung handelte, meinem Wunsche in liebenswürdigster Weise zu willfahren; dass sie in Fällen, wo sie glaubten, ich sei vielleicht nicht rechtzeitig benachrichtigt, mir noch persönlich in meiner Wohnung Mittheilung machten, sondern nach dem Grundsätze: »Alle für Einen, Einer für Alle« zogen sie mich auch in jene kleinen und im Moment doch so wichtig erscheinenden Manipulationen des »eorriger la fortune« hinein und vertraten meine Interessen dort, wo die Loealität mich verhinderte, persönlich bei den Verhandlungen anwesend zu sein, in der kameradschaftlichsten Weise. Sie werden es daher verstehen, wie herzlich ich mich freute, als ich vor Kurzem bei zufälligem Aufblicken in der Klinik des Hofrathes W 7 iderhofer das Gesicht eines Züricher Collegen er­blickte, der seinerzeit dadurch, dass sein Freund fast in allen Einzelprüfungen mein Genosse gewesen, auch an meinen Leiden und Freuden redlich Antheil