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genommen, und wie gern ich mir nach Schluss der Vorlesung von Zürich und dem Schicksal der Collegen erzählen liess.

Meine Damen und Herren! Ich habe wiederholt hervorgehoben, dass der Schritt in den Hörsaal oder vielmehr das ruhige Ausharren in demselben der Frau wesentlich erleichtert wird durch das Verhalten des Lehrers. Man kann im grossen Ganzen behaupten, dass die Züricher Professoren der Studentin nicht unsympathisch begegnen. Mancher von ihnen ist im Laufe seiner Lehr- thätigkeit aus einem Gegner ein Freund und Förderer des Frauenstudiums geworden Das Haus und die Familie einzelner Professoren öffnet sich der Studentin zu freundschaftlichem Verkehre. Jedenfalls steht fest: auch die principiellen Gegner haben sich niemals einer Studentin gegenüber nur den leisesten Mangel an Gerechtigkeit zu Schulden kommen lassen.

Ich habe im Vorausgehenden ausschliesslich von der Medicinerin ge­sprochen, da nur für sie mir persönliche Erfahrung zu Gebote steht. Den Ver­sicherungen der Commilitoninnen zufolge gestalten sich auch bei den anderen Fgcultäten die Beziehungen zwischen Student und Studentin, zwischen Stu­dentin und Professor ebenso erfreulich wie in der medicinischen.

Ich sagte im Beginne des Vortrages, dass in dem studentischen Leben eine Reihe von Factoren mitspielen. Ich habe Ihnen in kurzen Zügen die Stellung der Studentin als akademische Bürgerin, ihre Beziehungen zu dem männlichen Commilito, zu den Professoren geschildert. Lassen Sie mich nun mit wenigen Worten auf das Leben und Streben der Studentinnen im engeren Sinne, ihre Lebensgewohnheiten, ihren Umgang, ihre Ideale eingehen.

Trotzdem das Frauenstudium an der Züricher Hochschule bereits sein 25jähriges Jubiläum gefeiert hat, erweckt sowohl in Deutschland wie in Oester­reich das Wort »Züricher Studentin« noch immer bei der Mehrzahl der Männer und Frauen eine gewisse innere Empörung. Das Zerrbild der emanci- pirten Frau mit dem demonstrativ zur Schau getragenen vernachlässigten Aeussern tritt sofort vor ihre Seele, und es ist oft für unsereinen unendlich komisch, das naive Erstaunen, die gewisse Enttäuschung zu beobachten, welche sich bei unserem Anblick auf den Gesichtern malt. Woher rührt dieses Vorurtheil? Theilweise gewiss aus theoretischen Deductionen: eine Frau, die etwas Anderes thut als die Mehrzahl der Frauen, muss eo ipso sich auch in ihrem Aeusseren von jenen unterscheiden. Andererseits gründet es sich indess auf nicht wegzuleugnende Thatsachen. Wie jede grosse sociale Bewegung Aus­schreitungen mit sich führt, wie sich unter der Fahne des Idealismus neben den reinen begeisterten Bannerträgern manche elende moralische Krüppel, die eines Aushängeschildes bedürfen, zusammenscharen, so auch in der Frauen­frage. Jene grosse Anzahl von Russinnen, welche im Winter 1872/73 Zürich sozusagen überschwemmten, um sich »studirens halber dort aufzuhalten«, ist es, welche durch ihr auffälliges, anstössiges Betragen den Grundstein zu dem Vorurtheil gegen die Züricher Studentin gelegt haben; denn selbstredend machte die Kunde von dieser Invasion, entsprechend ausgeschmückt und über­trieben, bald die Runde in ganz Europa. Ein kaiserlicher Ukas befreite die Universität bald von den unliebsamen Gästen; das Vorurtheil blieb bestehen, und noch heute haben die russischen Studentinnen unter demselben zu leiden.