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über die heimatlichen Verhältnisse zu machen, weil ihnen der Massstab fehlte, wie weit die Anderen interessiren könnte, was ihnen ganz natürlich erscheint.

Wenn ich versuche, Ihnen ein Bild der nordischen Verhältnisse zu ent­werfen, so werde ich zumeist von Finnland sprechen. Obgleich ich Schweden, Dänemark und Norwegen wiederholt besucht habe und in Kopenhagen mich an einem Hausfleisscursus für Männer und Frauen also gemischt be­theiligt habe, so kenne ich Finnland besser, weil ich dort Verwandte habe und daher häufig dort bin. Zudem hat das Land durchaus schwedische Cultur und ist bereits weiter entwickelt als Skandinavien. Das Land ist sehr arm und häufig von Hungersnoth heimgesucht. t Der Bauer ist stets frei gewesen, geht häufig auf die Universität und kehrt auf seinen Hof zurück, den er rationell bewirthschaftet und dabei irgend ein Amt bekleidet. Bei der undichten Be­völkerung gilt das Individuum mehr als anderswo und die Frau nimmt eine bedeutend geachtetere Stellung ein als im übrigen Europa, ungefähr so, wie Herr Professor Dr. Wilkens es von den amerikanischen Frauen erzählte. In Finnland ist seit etwa sechs Jahren die gemischte Schule eingeführt, der gegen­über die Anstalten des alten Systems sich nicht halten können. Ein schwedisches Lyceum für Knaben und ein Mädchen-Gymnasium, welches vor etwa 10 Jahren vom Staate reich' subventionirt worden ist, sind kürzlich geschlossen worden, weil man die Kinder neuerdings am liebsten in die »Samskola for gossar och flichor« schickt, d. h. in die gemeinsame Schule für Knaben und Mädchen. Vor kaum länger als einem Jahrzehnt zuckte man auch dort noch die Achseln, wenn junge Mädchen Universitätsstudien trieben, jetzt ist es natürlich. Der Unterricht der Mathematik und Geschichte liegt bis zum Abiturium häufig in den Händen der Lehrerinnen. Man meint, gerade durch den Geschichtsunter­richt gebildeter Frauen müssten die Sitten milder, die Friedensideen verbreiteter sein. Helsingfors hat einen weiblichen Armenarzt. Besonders schätzt man die Frauen in den Staats- und Privat-Banken, weil bisher keine Defraudationen vorgekommen sind.

Ich kenne in Wiborg eine Dame, welche einen hochgeachteten Namen hat und die Frau eines wohlhabenden Fabrikanten ist und keinen Anstand nimmt, die Agentur eines Petersburger Geschäftes zu führen. Ganz besonders thätig aber sind die finnischen Damen auf dem Gebiete der Landwirtschaft und der Hausindustrie. Es gibt auch Webe- und Meiereischulen.

Im Jahre 1888 bereiste ich Finnland mit der Absicht, mich mit dem Meiereiwesen daselbst bekannt zu machen. Eine Generalempfehlung an sämmt- liche Grossgrundbesitzer verschaffte mir freundliche Aufnahme. Ich fand durch­wegs diesen Zweig der Oekonomie in Frauenhänden. Volkswirthschaftlich ist aber der Molkerei- und Meiereibetrieb für Finnland von grosser Bedeutung, weil durch die neuerdings eingeführte ausgedehnte Viehzucht, wie man sagt, die Hungersnoth ausgeschlossen werden kann. Es gibt in Finnland zwölf niedere Meiereischulen für die Meiereimägde und ein »Landbrucks och Mejeri- Institut« für Männer und Frauen. Diese Ackerbau- und Meiereischule »Mustiala« nimmt die Zöglinge nur auf, wenn sie die Schule mit dem Zeugniss der Keife, d. h. mit dem Maturitätszeugniss verlassen haben. Hier studiren die jungen Herren und Mädchen gemeinsam und kommen auch bei der praktischen Arbeit zusammen. So sehr mich anfangs befremdete, dass keine besondere weibliche