VORWORT DER HERAUSGEBERINNEN

für sie zubereiteten Legenden über die Beschaffen­heit der Welt nicht länger gläubig hinnehmen wie Kinder, die angenehmen Märchen lauschen; sie wollen das Leben nicht länger in jener ver­logenen Gestalt kennen lernen, wie sie ihnen durch die Familienliteratur vorge spiegelt wird sie wollen Thatsachen, sie wollen wirkliche Zustände erfahren, sie wollen mit eigenen Augen sehen und beobachten.

Verborgen und unentdeckt besteht neben ihnen eine Welt des Elends, von der sie bisher keine Ahnung hatten, eine Welt, in der die Frau gleich dem Manne hinausgestossen ist in den Kampf ums Dasein, in der sie sogar vielfach härtere Bedin­gungen als der Mann auf sich nehmen muss.

Bei der Berufszählung 1890 ging hervor, dass von den 9 Millionen über 10 Jahre alten Frauen in Oesterreich 6% Millionen in selbstständigem Erwerb standen. Angesichts dieser ungeheuren Thatsache, die beweist, dass mehr als zwei Drittel der Frauen selbstständigen Erwerb haben, erscheint die Forderung, dass die Interessen der Frauen durch sie selbst vertreten werden sollen, als eine zwingende Nothwendigkeit.

Bedenkt man, dass es in keinem Culturstaate so viele erwerbende Frauen wie in Oesterreich gibt kommen doch hier auf 100 arbeitende Männer 79 arbeitende Frauen, während dieses Verhältniss in Deutschland 39 Percent, in England 26, in Amerika 15 beträgt so bedarf es keiner weiteren Belege, um deren Organisation als unabweisbar geboten erkennen zu lassen.

Solche Organisationen besitzen die socialdemo­kratischen Arbeiterinnen und die Frauen der christ­lich-socialen Partei.

Die Ortsgruppen dieser Letzteren sind geschickt in die Pfarrsprengel eingegliedert und haben sich bereits einer ausserordentlich grossen Menge von Frauen bemächtigt. In Wien und Umgebung allein zählt der Christliche Frauenbund ungefähr 11.000 Mitglieder und verfügt, gleich den socialdemokrati-

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