EIN BRIEF AN FRÄULEIN FICKERT

Ich bitte Sie, das Fahrzeug mit der Flagge ganztopp gehisst auslaufen zu lassen! Ich hoffe, dass, soweit es bei Ihnen steht, die Warnungen, die kommen werden, die Zugeständnisse, zu denen das Leben nöthigt, die Fehler, die unausbleiblich sind, niemals vermögen werden, das Fahrzeug von seinem Curse abzubringen oder den Muth und die Thatkraft der Besatzung zu verringern. Ein ehrlicher Glaube bringt es mit sich (und beson­ders da, wo Mehrere zusammenstehen), dass Miss­geschick und unheilverkündende Stimmen ihn stärken, ja zuweilen geradezu eine Art Hochgefühl erwecken.

Wir merken bei den Gegnern keine starke Lust mehr, die Berechtigung unserer Sache in Abrede zu stellen. Der Mann räumt selbst ein, dass es ihm nicht mehr leicht fällt, seine unver­heirateten Schwestern zu versorgen und viel­leicht noch die seiner Gattin dazu. Er fühlt nicht das dringende Bedürfniss, Vorsehung zu spielen; er erhebt nicht mehr den Anspruch auf das ausschliessliche Recht auf Kenntnisse. Er wdll nicht allein Herrscher sein; es ging ihm nicht sonderlich glänzend dabei. Die Gesellschaft hat in dieser Beziehung längst ihre Illusionen ver­loren; das Zeitalter der Demokratie ist skeptisch. Selbst im Hause ist der Patriarch nicht mehr in der Mode, die Kritik ist auch da eingeführt und das wahre Centrum der Macht oft recht problematisch.

Die, welche einmal dafür eingetreten sind, dass es in geschlechtlichen Fragen zweierlei Moral gebe, eine für die Männer und eine andere für die Frauen, haben keine grossen Erfolge aufzuweisen. Die Träume von einem goldenen Zeitalter, in dem Alles erlaubt und Nichts Sünde ist für die Aus­erwählten wohlgemerkt stammen, wie jetzt all­gemein anerkannt wird, aus dem Zeitalter und der Phantasie der Adelsherrschaft. Sie verblassen leicht in einer Wirklichkeit mit angestrengter Arbeit für die Allermeisten und gleicher Verantwortung für

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