EIN BRIEF AN FRÄULEIN FICKERT

Alle. Ist eine solche noch nicht angebrochen, so rückt sie doch stets näher.

Die Frauenfrage ist aus der harten Nothwen- digkeit geboren; ihre Ideale bergen neue Hoff­nungen für die Menschheit. Wir stehen auch vor Aufgaben, die es wird sich schon nach und nach erweisen nicht anders gelöst werden können als in dem Geiste, der vorzüglich der Geist der Frau ist. Wir warten darauf, dass er durch sie in unseren öffentlichen Verhandlungen der herrschende werde. Aber dann möge sie sich auch darauf vorbereiten! Ebenso in ihren Anlagen wie in ihrem Charakter.

In dem Augenblicke, wo die Frau auf solcher Grundlage ernsthaft und allgemein ihre Mitver­antwortlichkeit für unsere bürgerliche und staat­liche Selbstverwaltung fordert, kann sie ihr un­möglich verweigert werden. Was für ein anderes Ziel hat diese, als die Zukunft vorzubereiten ? Und heisst das nicht mit anderen Worten, die besten Bedingungen für die Erziehung und Arbeit ihrer Kinder zu suchen?

Dabei mitzuwirken so hoch mag sie streben! Ausser diesem Ziel gibt es keine Frauen­sache, die stark genug wäre zu begeistern und zu siegen.

Also ein Blatt für das moderne Weibl Modern ist allein das Weib, welches im Gegensatz zu den Frauen der Vergangenheit erkennt, dass das Schicksal ihrer Kinder wesentlich von der Gesellschaft bestimmt wird, und dass ihre Arbeit planlos ist und vergeblich bleiben muss, wenn sie -f

nicht mit dabei sein darf, die Verhältnisse in dieser Gesellschaft zu gestalten.

Die Frauenschilderung in der Poesie, die diesem Moment nicht gerecht wird, hat das mo­derne Weib nicht gezeichnet. Hat nicht das ge­geben, was für die Zeit am eigenthümlichsten ist und am stärksten in seiner suggestiven Macht.

Aber die Frauenbewegung, die sich nicht den Idealen der modernen Frau in ihrer vollen Höhe

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