VON RICARDA CECCONI-HUCH

Dieser Schrei der Liebe, obschon er mir nicht galt, erschütterte mein Herz, und ich sass lange und starrte in den Brief hinein. Die stürmischen geschmeidigen Buch­staben schienen mir wie arabische Rosse über eine Wüste zu jagen, ich hörte den Rhythmus ihrer aufschlagenden Hufe, versank darüber in Träumerei, und ehe ich mirs versah, hatte ich einen Reim erdacht als Antwort auf die geheim- nissvolle Liebesklage. Der Vers hiess so:

Durch den Himmel hin wandr ich allein, Hast du Flügel, o komm und sei mein;

Sei des einsamen Mondes Weib,

Wie ein Stern blitzt dein silberner Leib

Ich hatte gerade die letzten Worte niedergeschrieben, als Fra Celeste bei mir eintrat und, wie er häufig zu thun pflegte, über meine Schulter sah. Es gelang mir nicht mehr, das Geschriebene zu verdecken, und so kam es, dass er sowohl meinen Vers wie auch den Brief las, der ihn ver­anlasst hatte. Wenn ich auch gleich errathen hatte, dass es sich hier um nichts Geringes handle, überraschte mich doch, was ich nun wahrnahm. Eine gewaltige Eiche, in die der Blitz fährt, die Feuer fängt und wie eine vom Sturme hin und her gewehte Fackel gegen den Himmel lodert, der möchte ich Fra Celeste vergleichen, als er den Inhalt des verhängnisvollen Schreibens ins Herz gefasst hatte.

So hing aber Alles zusammen.

Fra Celeste, der mit seinem weltlichen Namen Dolfin hiess, war als armes, elternloses Kind zwischen fremden Leuten aufgewachsen und, nachdem er kaum das Noth- dürftigste in der Schule erlernt hatte, einem Bäcker in die Lehre gegeben. Als er etwa achtzehn Jahre alt war, kam er wie nach einem dumpfen Traume zu sich und ver­spürte einen heisshungrigen Trieb, seine Kräfte an etwas Ungeheuerem zu üben. Auf ein bestimmtes Ziel richtetn sich sein Ehrgeiz nicht, auch hätte er die Bildung daze nicht besessen, aber Alles, was er um sich her sah, schien ihm verächtlich und viel zu klein für den Riesenmuth seines Herzens. So war er beschaffen, als er sich in ein vor­nehmes und reiches Fräulein verliebte, in deren elterliches Haus sein Beruf ihn führte. Wenn nicht ein überirdischer Geist in ihm gewesen wäre, möchte es ihm als einem armen Bäckerburschen niemals gelungen sein, eine Beziehung zu dem Fräulein herzustellen, besonders da er nicht einmal auffallend schön war, ausser dass der später so wohl­redende, damals noch blöde Mund schön, stark und roth, die glänzendsten und vollkommsten Zähne besass und mit seinem Lächeln, das freilich nur selten erschien, alle Herzen bezaubern konnte.

Fortsetzung folgt.

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