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Die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Wiener Lohnarbeiterinnen : Ergebnisse und stenographisches Protokoll der Enquete über Frauenarbeit, abgehalten in Wien vom 1. März bis 21. April 1896
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im Sommer von halb 8 Uhr Früh bis 7 Uhr Abends, Frühstückspausen hatten wir nicht, haben aber ungestört essen können. Ueberstunden hatten wir nicht; wir sind aber nie präcise fortgekommen. Sonn- und Feiertag haben wir Vormittag bis 12 Uhr gearbeitet. In der letzten Zeit haben wir abwechselnd jeden zweiten Sonntag frei gehabt. Kündigungsfrist ist l-ltägig. Mein Gehalt betrug fl. 15 monatlich. Nach Hause habe ich keine Arbeit genommen. Im Comptoir war ein Buchhalter und ein Correspondent. Ersterer hatte fl. 90. Der Correspondent hatte, wie ich hingekommen bin, fl. 40, dann fl. 50. Abzüge und Strafen sind nicht vorgekommen. Gewohnt hat von den weiblichen Angestellten Niemand im Geschäfte. Meine Vor­gesetzten waren die Chefs selber. Das Arbeitslocal war sehr schlecht. Es war ein mit einem Glasdach gedeckter Lichthos, sehr klein, ohne Fenster, wie ein kleines Cabinet. Es waren vier Schreibtische darin, auch der Chef hat da gearbeitet. Zusammen waren wir sechs Personen in diesem kleinen Locale. Zur Mittagspause sind wir fortgegangen. Das Local war auch nicht reinlich; es ifl nie regelmäßig gereinigt worden. Die Diener hatten immer andere Sachen zu thun. Unser unmittelbarer Vorgesetzter war der Chef selbst. Die Behandlung war keine gute. Er war zwar nicht grob, aber man durfte sich nicht dabei erwischen lassen, daß man gerade nichts macht. Man mußte sehr fleißig arbeiten. Die Angestellten waren alle ledig. (Ueber Befragen.! Meine Eltern sind Hausbesorger. Wir haben Zimmer und Küche zu ebener Erde, für dieselben zahlen wir nichts. Wie ich im Geschäfte war, habe ich nicht zu Hause gegessen, sondern unweit vom Geschäfte privat, und habe 30 bis 35 kr. für das Mittagessen gezählt, bestehend aus Suppe, Fleisch und Gemüse, hie und da auch Mehlspeise. In der Früh habe ich zu Hause Kaffee getrunken, zum Gabelfrühstück und znr Jause habe ich mir Wurstzeug holen lassen, oder zur Jause haben wir uns bei der Milchfrau, die im selben Hause war, Kaffee machen lassen. Abends habe ich zu Hause etwas Warmes oder Wurst gegessen. Die Anstellung habe ich durch einen Collegen von meinem Bruder das war der Buchhalter bekommen. Jetzt suche ich keine Beschäftigung.

Vorsitzender: Gehören Sie einem Vereine an? Exp. Nr. 146 : Ja, dem Vereine für kaufmännische Angestellte.

Vorsitzender: Waren Sie in einer Krankencasse, als Sie im Geschäfte waren? Exp. Nr. 146: Ja, in der allgemeinen Arbeiter- Krankencasse.

Dr. Schriller: Schildern Sie uns Ihren Bildungsgang. Exp. Nr. 146: Ich habe Volks- und Bürgerschule absolvirt, dann war ich drei Jahre zu Hause und habe ferner drei Jahre die Fortbildungsschule in der Weintraubengasse besucht. Ich kann auch stenographiren. Schulgeld hatten wir keines zu zahlen.

Dr. Schriller: Welchen Gehalt haben Ihre Colleginnen gehabt?

Exp. Nr. 146: Wir hatten damals eine Cassierin, die hatte fl. 35, und ein Fräulein neben mir fl. 30. Als ich weg bin, hat jede von beiden um fl. 5 mehr bekommen. Der männliche Correspondent hat fl. 40 und später fl. 50 bekommen. Er hat zwar etwas mehr Arbeit gehabt, aber er hat nie länger gearbeitet als ich; ich war immer beim Fortgehen die Letzte.

Dr. Schiff: Hatten Sie Aussicht auf Verbesserung Ihrer Stellung?

Exp. Nr. 146: Das weiß ich nicht, denn ich bin gerade vor Neujahr weggegangen, in Folge eines Streites mit meinem Herrn.

Dr. Schiff: Was hat das Local für einen Boden gehabt? Exp. Nr. 146: Einen gewöhnlichen Bretterboden. Die Oberlichten konnte man nicht öffnen, weil in den Lichthos Küchen mündeten, so daß ein großer Kochdunst in demselben herrschte. (Ueber Befragen.) Heizen hat man wohl können, aber die Wärme hat sich nicht halten können, weil zwei Thüren