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Die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Wiener Lohnarbeiterinnen : Ergebnisse und stenographisches Protokoll der Enquete über Frauenarbeit, abgehalten in Wien vom 1. März bis 21. April 1896
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der Habitues belästigt? Exp. Nr. 167: Bei uns kommt das nicht vor, wir haben keine Habituös.

Vorsitzender «zur Exp. Nr. 168): Sind Sie auch bei Ihrem Tirector für den Sommer an dem Curort engagirt? Exp. Nr. 168: Nein. Mit der Gage, welche ich beziehe, gehe ich nicht mit. Wir Anfängerinnen gehen oft irgendwohin, nur um zu sagen, daß wir schon irgendwo waren, überall ist die erste Frage:Waren Sie schon wo?" und wenn ich sage: Nein," dann nimmt man mich nicht an einem Wiener Theater.

(Dr. Verkauf übernimmt wieder den Vorsitz. >

Vorsitzender: Herr Niedt wird die Liebenswürdigkeit haben, über die Sittlichkeitsverhältnisse das, was er früher nicht vorbringen konnte, jetzt nachzutragen. Es ist das ein sehr heikles, aber auch sehr wichtiges Thema. Exp. Niedt: Ich schicke einige Worte voraus, in Bezug auf die Beurtheilung des Schanspielerstandes als solchen. Ich möchte da an die Worte des Dichters anknüpfen:Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst". Heiter ist die Kunst nicht nur, wenn man wo bei aufgezogenem Vorhang zuschaut, sondern sie ist in der That trotz der großen Misere, die beim Theater herrscht, auch hinter dem Vorhang heiter, das heißt man legt beim Theater nicht den Maßstab an, den man sonst im bürgerlichen Leben anzulegen Pflegt. Es ist ganz natürlich : die Aufregung, in welcher sich der Schauspieler zu befinden pflegt, das enge Zusammensein der Geschlechter, die Berührung auf der Bühne selbst u. s. w. und das ganze leichtlebige Völklein kommt zu einer ganz anderen Lebensansicht und nimmt Manches lange nicht so tragisch, was Andere unter Umständen durchaus tragisch nehmen. Der Schauspieler ist sehr leicht zu Thränen gerührt, aber sie versiegen auch sehr schnell, und über das, was man im Leben direct als unsittlich ansieht, deckt man im Theater gern den Schleier der christlichen Nächstenliebe. Es versteht sich also ganz von selbst, daß im Theater unter den Collegen Liebschaften vor­kommen, die eine Zeit lang dauern und dann auseinandergehen oder zu Ehen führen, unter Umständen auch zu unglücklichen Ehen. Ich weiß nicht, ob man da gleich einen Stein werfen darf, ob man das wirklich mit dem Wort Unsittlichkeit bezeichnen darf. Leichtlebig ist das Volk, darüber ist kein Zweifel, da gibt es gar keine Entschuldigung; aber man muß dem Beruf in dieser Richtung sehr viel nachsehen. Außerdem ist, wie Sie gehört haben, beim Theater bezüglich des weiblichen Geschlechtes die Protektion von unendlicher Wichtigkeit. Man kommt unter allen Umständen in eine bessere Stellung, wenn man Protektion hat. Diese Protektion kann in erster Linie durch den Director, durch den Regisseur geübt werden. Nun kommt noch eine Eigenthümlichkeit des Bernfes dazu. Viele, die zum Theater gehen, gehen mit der Absicht hin, etwas Großes zu werden; nicht allein, daß sie große Gagen im Auge haben; beim Theater spielt die Ruhmsucht, das Hervortreten der Persönlichkeit, die Eitelkeit eine große Rolle. Diese Faktoren veranlassen die Leute häufig, Protektion zu suchen, direct oder indirect, und da ist es in der That möglich, daß Avancen gemacht werden, die nicht lediglich aus Leichtsinn entsprangen, sondern aus dem Streben, sich aus der Niedrigkeit emporzuheben ; denn erst die Situation macht den Künstler. Ich kann ein außerordentlich großes Talent besitzen, wenn man mich aber nicht zum Wort kommen läßt, mir nicht gestattet, vor das Publicum zu treten, so weiß Niemand von meinem Talente; es kommt deshalb beim Theater vor, daß den maßgebenden Personen viel entgegengebracht wird aus dein Streben, vorwärts zu kommen.

Vorsitzender: Ich glaube aus den Ausführungen entnommen zu haben, daß gegen die Sittlichkeit von vier Seiten angestürmt wird. Die Agenten, die Directoren, die Recensenten und die Regisseure. Experte 9! iedt: Ganz recht; ich möchte nicht gern sagen, daß von ihnen angestürmt würd und möchte nur sagen, daß das auf Gegenseitigkeit beruht. Der Ehr-