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achtbare Frau sich so zu kleiden wie jene, die ihre Reize durch gemeine Tracht besser zum Kauf anbieten können. Die Frau­enarbeit folgte der großen öffentlichen Bildungsströmnng und wie die Gothik sich in kolossalen Manerwerken emporhebt, so prägt sie dem Faden und der Nadel der Stickerin ganz die­selbe Biegung, die gleiche Form, denselben Geist ein. Aehn- lich ist es in der Zeit der Renaissance, und darum sind die Frauenarbeiten dieser Zeit wie alle Perioden der Vergangen­heit so werthvolle Schatze, reizen heute noch unsere Aufmerk­samkeit und selbst in den verblaßten Farben, in den zerstörten Fäden dieser Gewebe, welche Franenhand fertigte, finden wir die Schönheit wieder, welche nur das Werk aus­zeichnet, das dem Geiste seiner Zeit entsprun­gen. Und dies zu zeigen wäre jede Ausstellung der Frauen­arbeit im Stande. Versuchte sie es, so wäre sie damit auch schon im Stande zu zeigen, welche Stellung die Frauenarbeit einst eingenommen im Verhältniß zur Gegenwart und hätte damit schon den besten Uebergang zum zweiten Theile ihres Inhaltes gefunden, zur Darstellung der Frauenarbeit, wie sie in der Gegenwart ist und sich gestaltet. Man würde nämlich in einer Geschichte der Frauenarbeit sehen, wie einst die weib­lichen Arbeitskräfte fast ausschließlich das Gebiet der ganzen Häuslichkeit mit allen ihren Bedürfnissen versah. Das ist nichts Wunderbares, weil es eben möglich war. Die Bedürfnisse einer Familie waren kaum größer als die Kraft einer guten Hausfrau, sie zu befriedigen, das Haus war klein, die Kost einfach und die Kleidung noch einfacher, Sandalen und ein Kittel war die Kleidung unserer Väter und Mütter. Hemden und Strümpfe kamen erst mit den Kreuzzügen auf und Königs Karl VII. Gemahlin noch war die einzige Französin, die zwei Hemden hatte, man schlief nackt und schlief so bis in

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