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es übersehen dies die Männer am grünen Tisch, die Männer in den Volksvertretungen und auch die Männer, welche in der Beschränkung der Frauenarbeit den Aermsten erlösende Gesetze zu erringen meinen. Das Wohlwollen leitet die Einen und die An­dern ich nehme es an aber verschweigen darf ich es nicht, dass sie sich wenig Mühe gegeben haben, unsere Angelegenheit zu ergründen.

Wir sind fern von dem Naturzustände, in welchem der Mann als Jäger die Stoffe für die Nahrung und Bekleidung lieferte, welche die Frau verarbeitete. Glück­licher Weise liegen diese Zeiten der Wildheit weit hinter dem Kulturmenschen. Aber wir sind auch weit entfernt von dem Gesellschaftszustand, von welchem Bellamy uns in seinem »Rückblick« ein so bezauberndes Bild entwirft. Eine Utopie sagen die Meisten, was nicht hindert, dass man sich im Banne derselben befinden kann. Es wäre ja auch herrlich, wenn die Association und die Maschinen alle Noth und alle aufreibende Arbeit aus der Welt geschafft hätten, wenn Alle gebildet und brüderlich wären, wenn der Männ mit dem 45. Jahr sich von den Geschäften zurückzöge, um in Zukunft dem Gemeinwohle seine Kräfte zu leihen; wenn die Frauen alle, und zwar nur zum Segen in der Familie wirkten. Das Bild ist bezaubernd, nur erscheint es in gar so weiter Ferne, so unerreichbar für uns von heute. Der Wahlspruch des Liberalismus ist: »Gleiches Recht für Alle«. Wie reimt sich damit die Rechtlosigkeit des Weibes? Oder sollte der Liberalismus nur angesichts der Frauen­forderungen des Vorwurfs eingedenk werden, der ihm gemacht wird: dass laisser faire et laisser aller nicht grösste Regierungsweisheit ist? Meine Herren, uns gegenüber etwas weniger Weisheit und etwas mehr consequente Durchführung Ihres Wahl­spruches! möchte ich bitten. Wir kennen das Frauenleben, wir wissen, was wir bei der heutigen wirtschaftlichen Sachlage ohne grosse Schädigung unserer Interessen nicht länger entbehren können, wir verlangen auf Grund reicher Erfahrung die Gleich­berechtigung in der Schule und frei die Bahn für unsere Arbeit! Heisst das zu viel verlangen im Angesichte des Wahlspruches: »Gleiches Recht für Alle«.

Es ist die grösste Utopie, die Frauenarbeit nur der Familie Vorbehalten zu wollen. Man sehe die Ergebnisse der Volkszählung; die imposante Zahl der erwer­benden Frauen und die grosse Zahl der unverheirateten Frauen widerlegt die Utopie vollends.

Wir stehen im 11). Jahrhundert! Im 18. war noch Manches anders. Die Frauen spannen und webten noch, sie zogen Kerzen und sotten Seife, sie nähten und stickten für den ganzen Hausbedarf; jedes Hauswesen schloss mehrere Gewerbe ein, da schufen die Töchter im Hause die Waaren, welche man heute viel billiger kauft, als selbst verfertigt. Dadurch ist die Arbeitskraft der Bürgerstöchter brach gelegt worden, und dieser Umstand, nicht ein unbegründeter Wunsch nach Gleichmacherei, wie jüngst be­hauptet wurde, drängt die Töchter dieser Familien zur Ausschau nach neuen Erwerbs­quellen. Die Verarmung eines Theiles des Mittelstandes im Verhältnisse zum andern und die gleichzeitige Steigerung der allgemeinen Lebensansprüche, bei Vertheuerung der Wohnungs- und Lebensmittelpreise, erzeugt für sehr viele Bürgerfamilien eine äusserst bedrängte Lage. Es reicht nicht für den Unterhalt der erwachsenen Töchter und an­derseits schränkt die allgemeine Nothlage des Mittelstandes die Zahl der Ehewerber ein. So steht es heute.

Der Widerstand, den wir erfahren, der Widerstand gegen den Eintritt der Frauen in Berufssphären, welche, wie die der Künstlerinnen, gute Entlohnung ohne den Einsatz von Kapital versprechen und eine gesellschaftliche Stellung gemäss den Fami-