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stracte Begriffe, sondernAnschauung in sich vollendeter Formen". Zum Behufe der Bildung des Geschmackes soll die höhere Töchter­schule in ihren Zöglingen eine Reihe schöner und edeler Vorstellungen erwecken,damit die Empfindung, auf diese Weise geübt, ein trei­bendes Moment werde für alle häuslichen Gestaltungen". Treffend sagt Holscher* **) ):Ein Leben ohne Ideale ist an sich schon ein hal­bes, geistloses; sind diese aber als verdorben vorhanden, so werden sie tödtlich. Mit der Geschmacksbildung wachsen und mehren sich die reinen Ideale, und sie verdrängen nothwendig, insofern sie ohne das Wahre nicht sein können, die Lüge, den Schein, den Prunk, den Flitter und Tand als ihre Kinder und flößen Ekel ein gegen das Gemeine und Niedrige, wie überhaupt Unedele."^)

Bei der Möglichkeit des Eintrittes in den erwerblichen Beruf muß die höhere Töchterschule das Vermögen, die gegebenen Zustände und Objecte in ihrem Verhältnisse zu Thatsachen des Augenblicks zu erkennen und in 'Beziehung zu setzen, kräftigen, da der Frau die Kraft des Ueberblickes und des Einblickes nicht erlassen werden dürfen. Es ist daher die Frau durch das Bewußtsein, im Hause miterwerben zu dürfen, zu der Freude am Schaffen berechtigt. Diese Freude hat die Schule zu begründen, da sie allein die rechte, be­friedigende ist und allein die richtige Würdigung der Arbeit anderer zur Folge hat. Es muß hier das praktische Bewußtsein erzielt werden, daß weder Rang noch Stand den Menschen macht, sondern daß ein Herz haben für den Untergebenen, Dienenden erste und letzte Forderung der Humanität ist. Keinem ist mehr Gelegenheit geboten, als der Frau, die Humanität dem Volksleben einzuimpfen. Um aber rechte Bildung in das Volksleben hineinzutragen, ist solche Bildung vorauszusetzen, die aus der nationalen Kultur stammt, die ohne An-

*) Ueber Stellung und Aufgabe der höheren Töchterschule." Chemnitz 1871, bei Focke, xaZA. 14 u. 15.

**) Sobald der gewissenhafte Erzieher die hohe Wichtigkeit des Schönen und der. Erziehung zum Schönen, wie sie Schiller in seinenBriefen über die ästhe­tische Erziehung des Menschengeschlechtes" fordert, erkannt hat, wird er auch Mittel und Wege finden, sich selbst, und dann auch die ihm anvertraute Jugend nach Möglichkeit ästhetisch zu bilden. D. V.