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Muß an das Nationale nicht existirt, die an ihr genährt ist und in ihr ihre Lebensquelle hat.^)

An keiner Stelle im Leben wird durch verkehrte, falsche Bildung der Frau so großes Unheil angerichtet, als an dieser.

Alles Kastenmäßige, jede Trennung, die von der Mißachtung ausgeht, ist unendlich durch die Frau gesteigert. Eitelkeit, Glanz­sucht nähren hinlänglich den Zug der ständischen Zurücksetzung. Auch diese negative Aufgabe darf die höhere Töchterschule nicht ver­gessen.^)

Sie hat positiv dahin zu streben, daß das Weib eine gemein­same Gesinnung für die verschiedenen Kreise der menschlichen Gesell­schaft wieder gewinne.

Die Schule gibt hier eine solche Bildung, vermöge deren die spätere Frau selbständig im Stande ist, sich eine klare Erkenntniß von dem zu verschaffen, was von den allgemeinen Interessen han­delt.^*) Es ist daher nicht nothwendig, daß die Frau im Stande sei, wissenschaftliche Werke zu studiren, wohl aber muß sie die dem wissenschaftlichen Gewände entkleideten Ergebnisse verstehen.

Sie kann beispielsweise ihrer Aufgabe gar nicht wahrhaft nach­kommen, wenn sie nicht wenigstens die Elemente der Naturwissen­schaft sich klar gemacht hat. Indem man, wie bisher, alles eigent­lich Ernste und Schwierige aus dem Unterrichte der höheren Töchterschule methodisch fernhält, begünstigt man, was ohnehin in der weiblichen Schwäche begründet ist, die geistige Oberflächlichkeit^),

2°) Man kann wohl kaum ein Geschöpf mehr beglücken, als dadurch, daß man ihm die Mittel zu einer freien, ungehemmten Entwickelung gewährt.

**) Wahre Bildung wird weder durch Talent, noch durch Kenntnisse, noch durch Thätigkeit ersetzt; sie wird nur durch unausgesetzte Wachsamkeit auf alle unsere Gedanken, Worte und Handlungen errungen und eine wirkliche innere Tüchtigkeit folgt nicht unbedacht dem faulen Strome eines hergebrachten Unge- schmacks, sondern weiß sich durch eigene Vorzüge zur Geltung zu bringen.

»»*) Das höhere und letzte Moment der Erziehung und Bildung ist die sitt­liche Hebung und Kräftigung des heranwachsenden Geschlechtes.

s) Es ist daher mit Ernst daran zu denken, mit Rücksicht auf das weibliche Gefühlsleben, ein heilsames Gegengewicht durch eine entsprechende Verstandes­bildung zu schaffen.