DIE NEUE CIVILPROCESSORDNUNG UND DIE FRAUEN

sicht auf das Geschlecht, sind aber jedenfalls für die Frauen noch von grösserem Nutzen als für die Männer, weil das weibliche Geschlecht in jenen Volkskreisen den Männern in Beziehung auf Rechts- kenntniss und auf äussere Mittel gewöhnlich be­trächtlich nachsteht. Dagegen vermissen wir in der neuen Civilprocessordnung vollständig Bestimmun­gen, welche der eigenthümlichen Lage der Frau bei der Geltendmachung ihrer Ansprüche gerecht werden. Hier ist vielmehr auch die neue öster­reichische Gesetzgebung im Banne jahrhundertealter Vorurtheile befangen geblieben. Einige flüchtige Bemerkungen werden die Richtigkeit dieser Be­merkungen erweisen.

So ist als eine entschieden veraltete Einrich­tung, die auch in die neuen österreichischen Pro- cessgesetze übergangen ist, der sogenannte Ge­richtsstand der Ehegattin zu betrachten. Unter diesem versteht man den Rechtssatz, dass die Ehe­frau in allen Rechtssachen regelmässig bei dem Gerichte am Wohnsitz des Mannes zu verklagen ist, auch wenn dieser, wie namentlich bei Arbeiter­familien so häufig geschieht, seine Gattin ohne ge­richtliche Scheidung verlassen hat, um sich seinen Familienpflichten zu entziehen. Wenn ein solcher Ehegatte im Inlande fortwährend seinen Wohnsitz wechselt, so müsste die Ehegattin immer an dem oft ganz unbekannten Wohnsitz ihres Mannes be­langt werden. Dass ein solch unzweckmässiger Gerichtsstand, den nur diejenigen billigen können, welche in der Frau ein ewig unselbstständiges An­hängsel des Mannes erblicken, den Credit der ver­lassenen Frau aufs Schwerste schädigen müsste, liegt auf der Hand. Glücklicherweise wird die Härte dieses Zustandes sehr häufig durch das Walten der Praxis gemildert.

Von derselben Auffassung des Verhältnisses zwischen Ehegatten geht das gesetzliche Ver­tretungsrecht des Mannes in den Processen wie auch in anderen Rechtsangelegenheiten seiner Ehe­frau aus, welches freilich seine gesetzliche Grundlage

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