VON PROFESSOR ANTON MENGER

schon in dem bürgerlichen Gesetzbuch hat, aber von den neuenProcessgesetzen unberührt gelassen wurde. Darnach kann der Ehegatte seine Frau kraft seines persönlichen Verhältnisses in Rechtsstreiten ver­treten, sofern diese nicht widerspricht, aber nicht umgekehrt. Dieser Rechtssatz, der übrigens zu manchen Zweifeln Anlass gegeben hat, geht von der Annahme einer höheren Vertrauenswürdigkeit und Weisheit des Mannes aus, aber diese Voraus­setzung ist gewiss nicht einmal in der Regel der Fälle berechtigt. Dort aber, wo der Mann die Frau wirklich an Geschäftstüchtigkeit übertrifft, kann ihm die Letztere ja jederzeit die Vollmacht zu ihrer Vertretung ertheilen.

Es wäre leicht, diese Belege für die gedrückte Stellung der Frau auch im neuen Civilprocess noch zu vermehren. Aber viel wichtiger erscheint mir noch, dass die neuen Processgesetze, freilich im An­schlüsse an die europäische Gesetzgebung, es unter­lassen haben, für die Streitigkeiten aus dem reinen Familienrecht besondere Processformen aufzustellen. Die rein persönlichen Verhältnisse zwischen den Ehegatten, dann zwischen Eltern und Kindern eig­nen sich im Falle des Streites überhaupt nicht für den Civilprocess mit seiner Oeffentlichkeit, seinem contradictorischen Verfahren. Unser altes und neues Recht hat in der That für die wichtigsten Ehe­streitigkeiten ein besonderes Eheverfahren ausge­bildet, und die Uebung der Gerichte hat unzweifel­haft die Tendenz, die rein persönlichen Streitig­keiten innerhalb der Familie immer mehr dem Civilprocess zu entziehen und dem sogenannten Verfahren ausser Streitsachen zuzuweisen. Es wäre eine dankenswerthe Aufgabe der Gesetzgebung, für die rein persönlichen Familienstreitigkeiten ein besonderes Processsystem auszubilden, in welchem der Richter noch mehr als im heutigen Civilprocess von amtswegen Vorgehen müsste. Hiebei wäre auch der Fall ins Auge zu fassen, der namentlich in unseren fluctuirenden Arbeiterbevölkerungen nur zu häufig vorkommt, dass das Oberhaupt der Familie

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