UNTERLEHRERINNEN

diese verlässt und dem Nothstande preisgibt, ohne dass doch die Gattin ihn durch unsere complicirten Processformen zur Erfüllung seiner Pflicht zu nöthigen im Stande ist. Ueberhaupt ist eine wirkliche Durchsetzung der persönlichen Familienrechte erst dann möglich, wenn man darauf verzichtet, für die Vermögens- und die Familienstreitigkeiten dieselben Processformen vorzuschreiben.

UNTERLEHRERINNEN

D ER Zug unserer Zeit, alle Dinge auf ihren socialen Gehalt zu prüfen, hat in den letzten Jahren dazu geführt, auch unser Schulwesen unter diesem Ge­sichtspunkte zu betrachten. Die Bedingungen, unter denen die Kinder leben, ob sie ausser zu ihrer Lernarbeit noch zu industrieller oder Hausarbeit gezwungen sind, wie es mit ihren materiellen Verhältnissen, ihrer Ernährung und Verpflegung bestellt ist, all das wurde als unerlässliche Be­dingung für einen gedeihlichen Unterricht erkannt. Von den Schülern wandte sich dann die Betrachtung den Lehrern zu. Man erkannte, dass ein sorgenfreier Lehrer viel bessere und nachhaltigere Unterrichtserfolge haben müsse als einer, der, von Nahrungssorgen gedrückt, von Privatstunden ge­plagt, nur mit halber Seele beim Unterricht sein kann. Man erkannte, dass die Lage der Lehrer denselben Bedin­gungen unterworfen sei wie die Lage der Lohnarbeiter, und dass den Lehrern nur ebenso geholfen werden könne wie diesen. Speciell das Stück Frauenarbeit, das in der Lehrerfrage enthalten ist, sollte das Interesse jedes Social­politikers hervorrufen.

Die Lage der Lehrerinnen ist beeinflusst von all den Schäden, die Frauenlohnarbeit aufzuweisen hat, und es treten in diesem speciellen Falle noch besondere Einflüsse dazu. Wir haben es hier mit Lohnarbeiterinnen zu thun, aber mit solchen, die grösstentheils nicht aus der Classe der Lohnarbeiter, sondern aus der der Kleinbürger hervor­gehen und daher nicht nur unter den Uebelständen leiden, welche die Lohnarbeiterclasse bedrücken, sondern auch unter den angestammten, sie in ihrer Bewegung hindernden Anschauungen der engen und beengenden Welt, aus der sie hervorgegangen sind.

Der Dornenweg für das junge Mädchen, das Lehrerin wird, beginnt bereits, sobald sie ihre Matura abgelegt hat. Die Brust voll der Ideale, die ihr in der Schule gelehrt werden, tritt sie in die praktische Wirklichkeit. Sie will die

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