UNTERLEHRERINNEN

Kinder unterweisen, sie heranziehen zu guten Staatsbürgern, alle edlen Keime entwickeln, die in der jungen Menschen­seele noch schlummern. Allein bald stösst sich das junge Mädchen hart an den Dingen im Raum. Sie hat zwar bereits die Berechtigung, die Kleinen zu unterrichten, aber die Gelegenheit fehlt ihr dazu. Sie muss warten, bis sie »einberufen« wird. Zu gleicher Zeit hat sie die Pflicht, die Lehrbefähigungsprüfung so rasch als möglich abzulegen, um in eine höhere Gehaltsstufe aufzusteigen. Doch das strenge Gesetz gibt ihr diese Möglichkeit erst, wenn sie zwei Jahre praktisch thätig gewesen ist. In diesem Conflict zwischen ihrem Streben nach einer baldigen besseren Bezahlung und der Thatsache, dass die meisten Lehrerinnen vor ihrer Lehrbefähigungsprüfung nicht einberufen werden, fallen sie jenen Anstalten anheim, die von der Arbeit dieser jungen Geschöpfe leben. An Privatschulen mit Oeffentlich- keitsrecht können die jungen Lehrerinnen thätig sein, so dass ihnen die Lehrzeit in ihre Dienstzeit eingerechnet wird; aber sie werden in diesen Anstalten nicht bezahlt. Die Privatschulen leben davon, dass sie mit diesen jungen unbezahlten Mädchen arbeiten. Für diese aber bedeutet ihre Thätigkeit an Privatschulen eine ungeheure Ueber- bürdung. Einen Theil des Tages müssen sie der Privat­schule widmen, den anderen Theil ihren Lectionen, um ihren Lebensunterhalt zu erwerben, den Rest des Tages und einen Theil der Nacht ihren Studien und ihrer Fort­bildung. So beginnt die Laufbahn der Lehrerin. Es gibt allerdings einige Privatschulen, die die Mädchen bezahlen; aber das sind die wenigsten, und die Entlohnung ist die denkbar schlechteste.

'Endlich gelingt es der jungen Lehrerin nach zwei­jähriger unbezahlter Arbeit, die Lehrbefähigungsprüfung zu machen, und endlich wird sie auch »einberufen«, d. h. von der Commune im Schuldienste verwendet. Bis sie eine fixe Anstellung erhält, hat es freilich noch gute Wege. Vor­läufig wird sie nur als Aushilfe für erkrankte Collegen ver­wendet. Bald unterrichtet sie an dieser Schule, bald an jener, bald in Ottakring, bald in Unterdöbling oder Fa­voriten, und so wird sie von einem Ende Wiens zum andern getrieben; der Unterricht dauert nur ein paar Tage oder Wochen an jeder Schule. Gewöhnlich kommt sie des Morgens nach weiter Wanderung hin, und die wieder ge­nesene Lehrperson, für die sie supplirt hat, ist bereits an Ort und Stelle. Da heisst es: Aufs Rathhaus, sich frei melden I Und glücklich die, welche gleich eine weitere Zu­weisung an eine andere Schule erhält. Der Tag ist nicht selten für die junge Aushilfslehrerin verloren, und oft schliessen sich noch andere arbeitslose Tage und Wochen an, bevor sie wieder an die Reihe kommt. Dass dieses

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