UNTERLEHRERINNEN

nämlich, wenn sie erwachsen sind, gar leicht auf Gedanken gerathen, die manchen Leuten nicht angenehm wären.

Und der Reichthum an Kenntnissen, die den Kindern in der Schule beigebracht werden? Wie schwer es in den überfüllten Wiener Schulclassen ist, die Kinder zu unter­richten, wie sehr der Unterricht geschädigt wird durch das häusliche Elend der Kinder, durch ihre Uebermüdung und schlechte Ernährung, das kann eigentlich nur eine Lehrperson ermessen, die das selbst in der Schule erfährt.

So schwindet bald in der jungen Lehrerin der Idea­lismus, mit dem sie in die Praxis getreten ist, und es wird nur wenige geben, die sagen können, dass ihr Beruf sie ganz ausfüllt. Er wird ihnen im Gegentheil zum Handwerk, und sie müssen in ihrem Leben ausser der Schule Be­friedigung suchen für die Bedürfnisse ihres Geistes. Hier aber stossen sie an die Schranken, die ihnen die enge Moral der Classe, aus der sie hervorgegangen, aufge­richtet hat.

Die Lehrerinnen sind im Allgemeinen eine nicht auf der gleichen socialen Lebenshaltung stehende Masse, sondern weisen gar manche Unterschiede auf. Es gibt solche unter ihnen, die ihren Beruf nur ausüben, weil ihnen der »natürliche« Beruf im Hause zu wenig ist, die aber in Folge ihrer materiellen Lage nicht genöthigt sind, von ihrem Gehalt zu leben. Bei Vielen trifft dasselbe zu, was die Kennerin des englischen Gewerkschaftswesens Beatrice Webb als einen der Gründe anführt für die Theilnahms- losigkeit der Fabriksarbeiterinnen an den Gewerkschafts­bestrebungen der Arbeiter, die Aussicht, sich einmal zu verheiraten und dadurch in eine audere Lebenslage zu kommen und allen Mühen des Berufes zu entfliehen. Für diese bedeutet ihr Beruf bloss eine Interimszeit. Für die grosse Masse der Lehrerinnen aber ist ihre Entlohnung wirklich der nothwendige Lebensunterhalt. Damit müssen sie auskommen, und wenn es nicht geht, sich durch Privat­stunden Zubussen verschaffen. Sehr viele sorgen nicht für sich allein, müssen oft für Eltern und Geschwister erwerben, und das verschärft noch ihre schlechte Lage. Diese Mädchen aber führen ein geradezu erbärmliches Leben. Ihr Beruf in der Schule bietet ihnen nichts, zu Hause das Elend, sie selbst in ewigen Sorgen und Kümmernissen, oft noch gezwungen, über ihre Verhältnisse zu leben, weil dies ihre sociale Stellung, wie sie meinen, erfordert; Mädchen, die sich selbst verantwortlich machen für das, was sie den Leuten, die sie so schlecht entlohnen, zum Vorwurfe machen sollten. Gehindert, sich vollständig auszuleben, weil sie noch befangen sind in den alten, spiessbürgerlichen An­schauungen, die den Mädchen die freie Bewegung ver­bieten und ihnen Beschränkungen auferlegen, die für ihre

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