VON RICARDA CECCONI-HUCH

war, glaubte ich, dass er höchstens dem dummen Pöbel durch Lärm, Schlagwörter und leeren Bombast imponiren könne. Als er nun aber, dieser wundervolle Mann, in Be­gleitung mehrerer Geistlicher, denen er um einige Schritte voranging, durch das geöffnete Portal eintrat, fühlte ich mich sogleich gesichert und erhoben, was ich schwerlich begründen könnte, denn bei der Dunkelheit, die in der tiefen alten Kirche herrschte, vermochte ich sein Aeusseres nicht zu unterscheiden. Auch als er auf der Kanzel stand, sah ich nur, dass er eine hochgewachsene, kräftige Gestalt hatte, die sich mit Unbefangenheit, aber nicht häufig be­wegte, und dass die Form seines Gesichtes schön, breit und stark war. Obgleich er schnell gegangen war, fing er sofort, ohne dass man etwas von Athemnoth bemerkt hätte, zu sprechen an mit dieser einzigen, unerschöpflichen Stimme, die aus dem Busen eines Gottes zu kommen schien. Eine Weile sprach er schlicht, gleichförmig, mit mittlerer Stärke, bis er sowohl von den immer rascher aufquellenden Einfällen wie auch vom Klange seiner Stimme berauscht wurde. Dann behandelte er sie wie ein Instrument, Geige oder Flöte, worauf er phantasirte: etwas vorgebogen, mit verzückten Augen schien er den Tönen nachzublicken, als wären es schimmernde Paradiesvögel, die die schwarzen Pfeiler umschwebten und das Gewölbe mit Musik erfüllten. Das Merkwürdige war nun, dass die Predigt keineswegs nur ein wohlklingender Gesang war, sondern klar geordnet und voll eigenartiger Gedanken und Betrachtungen. Sie handelte von der Sonntagsheiligung, und zwar zuerst von den Be­lustigungen, mit denen gewöhnlich der Feiertag verbracht wird, hernach von dem eigentlichen Sinn und Werth der ge­botenen Ruhe. Da war kein bornirtes Eifern oder Schein­heiligkeit oder Tugendsalbung, nichts, worüber man hätte lachen oder was man leicht hätte widerlegen können, sondern ritterliche Verachtung gemeiner Lust. »Gott hat uns zu Herren der Erde geschaffen,« sagte er unter anderem, »sollen wir uns von ihr knechten lassen für den vergäng­lichen Bettel, mit dem sie uns dingen will? Wer wäre ich, wenn die Sclavenumarmung der Dirne Welt meine Sehn­sucht stillte ? Regieren will ich die Erde von meinem Platz aus, nach meinen Kräften, als der König, der ich geschaffen bin, sechs Tage lang. Aber am siebenten will ich den Herrn suchen, der über mir ist, und ihm dienen. Denn auch wir möchten vergehen und anbeten.« Indem er dies letzte mit einem unbeschreiblichen Schmelz der Stimme sagte, sah ich zum ersten Male sein herzliches Lächeln, wobei die Zähne schimmerten wie Mondschein, der durch eine dunkle Wolke fallt. Dann, nach einer kleinen Pause, fuhr er lauter fort, dass es klang, wie wenn ein Frühlingsdonner über die Himmelswölbung rollt: »Kniet mit mir und betet an!«

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