FRA CELESTE

worauf sich alle niederwarfen. Die meisten blieben in dieser Stellung bis zum Ende der Predigt und schienen froh, ihrer leidenschaftlichen Inbrunst dadurch einen Ausdruck geben zu dürfen. Durch die Reihen der Menschen, die sich an ihn drängten, als er die Kirche verliess, um sein Kleid oder seine Hände zu berühren, ging er mit aufrichtiger, ganz ungesuchter Gleichgiltigkeit, obwohl es namentlich Frauen waren und seine Jagend eine gewisse Reizbarkeit gegen­über dem weiblichen Geschlecht entschuldigt hätte. Aber man sah wohl, dass es diesem Liebling Gottes nicht einmal einen Kampf kostete, derartige Versuchungen zu überwinden.

Ich erinnere mich, dass inzwischen die Sonne unter­gegangen war und ein wonnig kühler, mehr zu empfindender als sichtbarer Flor sich über die graue Kirche, den Thurm und alle Gegenstände herabsenkte. Der Himmel schien mir höher zu sein, als ich ihn je gesehen hatte, und ich stand noch und schaute hinein, nachdem sich die Menge läDgst verlaufen hatte. Allmälig war es mir, als höbe ich mich von der Erde und schwebte langsam nach oben, getragen von einem mächtigen, befreundeten Element, das, wie ich genau wusste, Fra Celeste regierte. Seit diesem Abend brachte ich den Bruder nicht mehr aus meinem Sinn, und als ich kurz darauf erfuhr, dass er einen Secretär suchte, der seine Correspondenzen und weltlichen Angelegenheiten überhaupt besorge, lief ich ohne Zögern zu ihm, in der Meinung, die Vorsehung habe mich eigens für dieses Amt auserlesen, wie ehemals den guten Parsifal für den Graal. Ich wurde sogleich vorgelassen, der himmlische Mann be­trachtete mich eine Weile aufmerksam, strich liebkosend über meine Wangen, erkundigte sich nach meinem Alter, verwunderte sich, dass ich schon dreiundzwanzig Jahre zählte, denn ich gliche, sagte er, mehr einem kleinen Fräulein von sechzehn Lenzen, und äusserte Zweifel, ob ich auch im Stande sei, seine Geschäfte zu führen. Er selbst nämlich, obschon er wie ein Erzengel mit Nachtigallen- und Adler­zungen redete, konnte weder fliessend lesen noch schreiben, und da er schon damals zahlreiche Briefe empfing, die ihm gleichgiltig oder gar lästig waren, suchte er Jemand, der sie nach seinem Gutdünken schicklich beantwortete und ihn selbst nur in Ausnahmefällen damit behelligte. Ich zählte ihm alle Studien auf, die ich gemacht hatte, was ihn sehr zu befriedigen schien, und er gab mir einige Briefe, die er kürzlich erhalten hatte, damit ich sie abfertige wie es mir gut scheine, und Hess mich an seinem Schreib­tisch allein.

Der erste Brief, den ich öffnete, war von einer Frau, die einen starken Trieb fühlte, ins Kloster zu gehen, ihr Mann, schrieb sie, wollte sie aber nicht gehen lassen; ob es gottgefälliger sei, dem himmlischen Herrn zu Liebe dem

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