22

Übung semes Berufes keine bestimmten Stunden; für ihn gibt es keinen Tag, keine Nacht, keinen Unterschied zwischen Sommerhitze und Winterkälte, zwischen glühen­dem Sonnenbrand und eisigem Schneesturm. Immer, zu jeder Zeit muss er dem Bufe folgen, der an ihn ergeht, ob er sich soeben erst, erschöpft von der Tagesarbeit, zur Buhe begab, ob er beim verspäteten Mahle sitzt immer muss er seiner Pflicht nachkommen. Er muss! Denn das Gesetz bedroht den Arzt, der sich weigert, einem Krankenrufe Folge zu leisten. Welche kolossale körperliche Anstrengungen der Arzt machen muss, ist zwar allgemein bekannt, aber nicht allgemein gewürdigt. Vom Landarzte, vom Arzte im Gebirge, da glaubt man die physische Arbeitsleistung eher, aber beim Arzte in der Stadt wird sie stets unterschätzt. Oder ist es keine erschöpfende physische Leistung, wenn der Stadtarzt 60 und 80 Stockwerke täglich auf- und niedersteigt, wenn er aus der Wärme der Krankenstuben in die eis­kalten Corridore und Gassen in stetem Wechsel treten muss? Wahrlich, hiezu gehört nebst eisernem Willen auch eine eiserne Constitution, und ein furchtbarer Beleg für die erschöpfenden Beschwerden des ärztlichen Berufes ist der statistische Nachweis, dass das Durchschnittsalter des Arztes 357 Jahre ist. Mit circa seinem 26. Jahre tritt er seine Laufbahn als praktischer Arzt an, und nach nicht zehn Jahren erliegt er im Durchschnitte dem mörderischen Berufe!

Und welche psychische Anstrengung, welche seeli­sche Arbeit muss mit der körperlichen Leistung des Arztes Hand in Hand gehen! Abgesehen von seiner