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Abgesehen von der individuellen Eignung der Frau zum ärztlichen Berufe, hat aber unsere Frage noch eine eminent sociale Bedeutung.

Fragen wir zuerst nach dem Bedürfnisse nach weib­lichen Aerzten.

Da müssen wir uns wohl sagen, dass in Folge der in der letzten Zeit erhöhten Fürsorge der einzelnen Staaten für eine bessere Gesundheitspflege und ein besseres Sanitätsstatut die Yertheilung der Aerzte über Stadt und Land eine gleichmässigere geworden ist, dass also das früher schreiende Bedürfniss nach Aerzten für die be­schwerliche und weniger erträgliche Landpraxis ein fast befriedigtes geworden ist. In den Städten hat es einen Aerztemangel ohnehin niemals gegeben. Dies Verhältniss trifft in allen civilisirten Ländern zu. Aerzte existiren dermalen in hinreichender Anzahl, an manchen Orten in Ueberzahl, so dass eine grössere Vermehrung des ärzt­lichen Personales nichts weniger als noth wendig erscheint.

Ich lasse hier der statistischen Zusammenstellung des Berner Professors für Gynäkologie Dr. P. Müller*) das Wort:

Der Ueberfluss zeigt sich am deutlichsten in Deutsch­land. Hier gibt es höchstens 16.000 den ärztlichen Beruf wirklich ausübende Personen. Wenn man jedoch die Personal­verzeichnisse der Studirenden auf den 20 deutschen Universi­täten vergleicht, so weisen dieselben in den letzten Jahren jährlich eine Zahl bis gegen 9000 Mediciner auf. Von diesen 9000 sind nur circa 500 Ausländer. Wenn man nun ferner annimmt, dass weitere 500 inländische Studenten auf der

*) Ueber die Zulassung der Frauen zum Studium der Medicin. Hamburg 1894.