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Zweiter Theil
Entstehung
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Mittlerweile ist die Nacht völlig hereingebrochen; in großen Städten flammen hundert Lämpchen an den Gallericen der schlan­ken Minarets; der Basar und alle Kaffehäuser werden erleuchtet, der Kaufmann setzt sich in seine Bude, der Handwerker sängt an zu arbeiten, der Regierungsbeamte eröffnet den Diwahn. Alle Schreiber der Regierung sind in voller Thätigkeit, der Geschäftstag bricht an, während der Tag zu Ende ging.

Und nun beginnt das eigenthümliche Leben der Nacht. Die Basare vereinigen das verständige Alter und die tobende Jugend; in den Kaffchäuscrn sitzen Mährchenerzähler, tanzen Rhauasiaht*), treiben Gaukler oder Marioncttenspiclcr ihr Wesen. Zuckerbäcker gehen laut preisend mit ihren wandelbaren Verkaufstischen durch das Gedränge; Gahrköche rühmen die Erzeugnisse ihrer Kunst, Scher- bcthvcrkäufer klingeln mit metallenen Schalen. Es herrscht voll­kommene Freiheit. Keine Polizeiwache stört das fröhliche Treiben des Volkes. Bis tief in die Nacht hinein durchwogt ein nicht en­dender Menschenschwarm die Straßen. Gegen Morgen wird es stiller. Einer nach dem Andern geht nach Hause, um zu ruhen. Zwei Stunden vor Sonnenaufgang hört man wieder einen Kano­nenschuß. Er fordert die Gläubigen auf, sich noch vor anbrechen­dem Morgen mit Speise und Trank zu erquicken, damit sie das schwere Glaubenswcrk ohne Murren zu beendigen im Stande sind. Mit dem Grauen des Morgens ertönt vom Minaret die Mahnung zum Frühgcbcte. Der Gläubige spricht den Fedjer, dann sucht er sein Lager und schläft bis weit in den Tag hinein.

Wenn aber der erste Reiz der Neuheit vorüber ist, sehnt sich jeder der Fastenden mehr und mehr nach seiner gewohnten Lebens­weise zurück. Man späht zu Ende des Monats nach der sich ver­kleinernden Mondscheibe und bemerkt jede Verringerung derselben mit rasender Freude. Am ncunundzwanzigsten oder dreißigsten Tage des Monats sammeln sich die Gcwcrke um die Zeit beö Nachmit­tagsgebetes zu einem Festzugc. Dieser bewegt sich durch viele Straßen hindurch und nimmt um so mehr an Ausdehnung zu, je

) Plural von ,,Rhauastc," Tänzerin.