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Motto:
„Arbeit ist des Bürgers Zierde, Segen ist der Mühe Preis.“
Schiller.
I. Die Gründung der Seiden- und Wolltrocknungs- anstalt in Wien.
In früheren Zeiten war der Ankauf des werllivollen Seidenmateriales für die Seidenwaarenfabrikanten Wiens mit mancherlei Schwierigkeiten verbunden. War die Wahl in Bezug der Anforderungen auf die Bearbeitung (lavoranzia), der Qualität, des Feinheitsgrades etc. getroffen, musste man sich in Betreff des Preises zu einigen trachten, der wohl nach einigem Handeln zum Abschlüsse kam; auch die übrigen Bedingnisse, ob per comptant, gegen Sconto, oder auf 6, 7, bisweilen gar 8 Monate Zeit, meistens durch ein Wechselaccept sicher zu stellen, wurden gleichfalls in’s Reine gebracht; schliesslich handelte es sich bezüglich der Gewichtsvergütung eine Einigung zu erzielen. Bekanntlich ist die Seide ein sehr hykroskopischer, die Feuchtigkeit anziehender Körper; dieselbe befand sich zumeist auf dem Lager in der inneren Stadt, in ebenerdigen, dumpfigen Magazinen der Seidenhändler, grösstentlieils in feuchtem Zustande, daher ein Calo (Gewichtsabgang) nach nur einiger Trocknung in den luftigen Stockwerken der in den Vorstädten Wiens situirten Seidenfabrikanten nicht ausbleiben konnte.
Es wurde Usus, dass der Fabrikant von dem eben bezogenen Ballen Seide in seinem Hause eine kleine Partie entnahm, sie abwog, einer Trocknung unterzog und nach Berechnung des Calo auf den ganzen Ballen eine Gewichtsvergütung beanspruchte, welche Differenz häufig durch gemeinschaftliche Theilung der Abgangsziffer mit der gemüthlichen Phrase: „das sei Bürgerrecht“, ausgeglichen wurde. Mitunter geschah es, dass Fabrikanten die Seide in nächster Nähe
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