ACTIENGESELLSCHAFT FÜR METALLWAREN-INDUSTRIE

PRAG-SMICHOW.

ie Blech- und Lackirwarenfabrication gehört zu jenen Industrien, die in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts gegründet wurden und erst in den letzten zwei Jahrzehnten zu einer gewissen Be­deutung gelangten. Sie bezweckt vornehmlich die Versorgung der Haushaltungen mit den nöthigen Küchen- und sonstigen Gebrauchsgeräthschaften und hängt infolge dessen innig mit der culturellen Entwicklung der breiten Volksschichten zusammen. Das Bedürfnis, sich an Stelle primitiver Holz­oder Thongeräthschaften handlicherer, dauerhafterer und geschmackvollerer Werkzeuge für die verschiedensten Verrichtungen in Haus und Küche zu bedienen, entwickelt sich naturgemäss erst aus den höheren Ansprüchen, welche auch in dieser Beziehung an das Leben gestellt werden; und die Befriedigung dieses Bedürfnisses wird erst durch einen erhöhten Wohlstand ermöglicht, der Ausgaben für Gegenstände gestattet, die nicht unbedingt zur Lebenshaltung angeschafft werden müssen.

Es ist selbstverständlich, dass sich der Bedarf an diesen Gegenständen am raschesten dort einstellt, wo einerseits Werth auf eine ebenso praktische als schöne Ausstattung des Hauswesens gelegt wird, wo die Haus­frau das eigentliche Feld ihrer Wirksamkeit mehr innerhalb als ausserhalb ihrer Wohnung sucht, und wo anderer­seits die Mittel vorhanden sind, die Wohnung auch nach dieser Richtung hin auszustatten. Dementsprechend finden wir die Ausgestaltung dieser Industrie und deren Quelle zunächst bei den westeuropäischen Culturvölkern, den Deutschen, Engländern, Holländern u. s. w. Insbesondere in Deutschland entwickelte sich die Blechwaren­industrie in geradezu staunenerregender Weise, und Deutschland war es auch, das den Bedarf in Oesterreich- Ungarn jahrelang zum überwiegenden Theile deckte. Dieser Bedarf entwickelte sich immer mehr und mehr und gab dadurch Anlass zur Gründung eigener Industrien.

So wurde auch im Jahre 1860 diese Fabrik in Prag begründet. Aus den denkbar kleinsten Anfängen entwickelte sie sich zu immer grösserer Bedeutung. Schon in den Siebzigerjahren allgemein bekannt, stieg sie gegen Ende der Achtzigerjahre durch ihre Uebersiedlung in die Prager Vorstadt Smichow und durch Errichtung eines grossen Fabriksetablissements daselbst in die erste Reihe der inländischen Fabriken dieser Branche empor. Sie gewann von da ab eine derartige Ausdehnung, dass sie heute, nachdem sie in eine Actiengesellschaft um­gewandelt worden ist, unbestritten als erstes und grösstes Etablissement der Blech- und Lackirwaren-Industrie in Oesterreich-Ungarn gilt und in ihrem Umfange nur von wenigen ausländischen Fabriken gleicher Branche übertroffen wird.

Die Actiengesellschaft für Metallwaren-Industrie beschäftigt heute in ihren ausgedehnten, dem Bedürf­nisse nach, einer bis in das kleinste Detail gehenden Arbeitstheilung entsprechenden und mit den neuesten, zum Theile selbst hergestellten Maschinen versehenen Anlagen, in Prag-Smichow über 500 Arbeiter, und zwar Spengler, Metalldrucker, Schlosser, Schleifer, Galvaniseure, Lackirer, Maler und eine grosse Anzahl von E'rauen und Mäd­chen, welche sich eine bedeutende Fertigkeit in den einzelnen Fabricationszweigen angeeignet haben. Neben der bereits angedeuteten, sorgfältig durchdachten Arbeitstheilung und der maschinellen Ausrüstung beruht die Leistungs­fähigkeit der Fabrik auf der Massenerzeugung einzelner Artikel. Obgleich sie nämlich Tausende verschieden­artiger Gegenstände (alle Arten von Laternen, von der kleinen Taschenlaterne bis zum grossen Grabcandelaber, Reibeisen, Siebe, Schnellkocher, Kaffeemaschinen, Theekessel, Brot-, Kaffee- und Zuckerbüchsen, Briefkasten, Wasserschaffel, Kannen und Eimer, Lavoirs, Giesskannen, Badewannen, Kohlenkübel, E'risirlampen, Drahtwaren, Vogelkäfige u. s. w. aus Weiss-, Schwarz-, Zink- und Messingblech, blank, verzinnt, lackirt, bemalt, vernickelt u. s. w.) erzeugt, werden von einzelnen derselben binnen Jahresfrist oft Hunderttausende hergestellt und verkauft.

Die Fabrikate der Firma finden zu zwei Drittheilen in Oesterreich-Ungarn Absatz, während ein Drittheil exportirt wird, und zwar nach Deutschland, England, Italien, Belgien, in die Schweiz, nach dem Orient, nach Russland, Dänemark, Schweden, Norwegen, nach Amerika, Südafrika u. s. w.

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