. DIE WIENER BAUGESELLSCHAFTEN

UND IHRE BEDEUTUNG FÜR DIE WIENER STADTERWEITERUNG.

om historischen Standpunkte aus betrachtet, ist die Bezeichnung - »Stadterweiterung« für die mit dem denkwürdigen Allerhöchsten Handschreiben vom 20. December 1857 inaugurirte bauliche Entwickelungs­periode Wiens nicht ganz zutreffend. Karl Weiss, ein hervorragender Kenner der Baugeschichte Wiens, meint geradezu, dass es eigentlich viel richtiger wäre, nur von einem theilweisen Wiederaufbau der Stadt, von einer »Stadt-Restauration« zu sprechen; denn bereits zur Zeit der ersten Türkenbelagerung wir folgen der Darstellung Weiss hatte die Verbauung der weiten Terrainzone rings um die Basteien der inneren Stadt einen überaus anmuthigen und lieblichen Kranz von Landhäusern und Gärten zwischen der befestigten Altstadt und den offenen Vorstädten geschaffen, wie man auf dem berühmten Bilde der Stadt Wien von Sebaldus Lautensack aus dem Jahre 1558 deutlich sehen kann.

Diese Neuansiedelungen und Neubauten fielen jedoch nach der glücklich abgewehrten ersten Türken­belagerung sammt und sonders auf Befehl Kaisers Ferdinand I. der Ausdehnung des fortificatorischen Rayons rings um die innere Stadt zum Opfer, und an ihrer Stelle entstand jener steinerne Gürtel, welcher Jahr­hunderte lang das Wachsthum Wiens behinderte und dessen organische Verbindung mit den Vororten unmöglich machte. Auf den Raum, den die Stadt zur Zeit Friedrichs des Streitbaren um die Mitte des 13. Jahrhunderts ein­genommen hatte, blieb sie bis vor kaum vier Decennien beschränkt, ja der von Bürgerhäusern besetzte Grund war durch die Errichtung von militärischen Objecten, von Palais des nach Wien strömenden Adels, von Klöstern etc. noch verkleinert worden. In vielfältiger Weise machten sich die das Weichbild umgebenden Vertheidigungs- werke auf die Entwickelung des Geweinwesens störend und hemmend geltend, tief und schwer wurde Jahrhunderte hindurch, bis in unsere Tage die auf diese Weise entstandene Wohnungsnoth und unnatürliche Miethenhöhe empfunden.

All dem machte die spontane, höchsteigene Willensentschliessung Seiner Majestät des Kaisers ein Ende, welche indem die Stadterweiterung anordnenden kaiserlichen Handschreiben vom 20. December 1857 zum Ausdruck kam. Bedeutsame Worte, welche den keimenden Allerhöchsten Entschluss bereits ahnen Hessen, sprach der Monarch schon beim Taufacte des Kronprinzen, als er die Glückwünsche der Gemeindevertretung Wiens empfieng:

»Mein Sohn soll ein schöneres Wien vorfinden, als ich es überkommen.«

Das kaiserliche Handschreiben enthielt bereits die Grundzüge für die Durchführung der Stadterweite­rung, nach welcher aus dem Verkaufe der durch Auflassung der Umwallung, der Fortificationen, der Stadtgräben und Glacisgründe gewonnenen Bau-Area ein Baufond zu bilden war zur Bestreitung der dem Staatsschätze er­wachsenden Auslagen, zur Herstellung öffentlicher Monumentalbauten, zur Verlegung der noch nöthigen Militär­anstalten, zur Demolirung der Basteien und zur Ausfüllung der Stadtgräben, sodann aber zur Erwerbung eines im Concurswege zu erlangenden General-Stadterweiterungsplanes.

Eine grossartige Bewegung der Geister machte sich unter dem Eindrücke dieser weittragenden Verfügungen des Monarchen in Wien geltend. Ein Problem, an dessen Lösung Jahrhunderte erfolglos gearbeitet, war durch des Kaisers grossherzige Entschliessung mit einem Schlage in befreiende That umgewandelt!

Hoffnungsvoll, wenn auch von mancher Seite nicht ohne Bedenken, sah man in Wien der Ausschreibung des Concurses für den Stadterweiterungsplan entgegen, die denn auch thatsächlich am 31. Jänner 1858 erfolgte und eine glänzende Betheiligung in- und ausländischer Architekten zur Folge hatte.

So konnte bereits am 31. December 1858 die Entscheidung der Jury durch das Ministerium publicirt werden. Die drei besten Pläne, ohne Classification, waren die von Professor Ludwig Förster, von den Professoren van der Nüll und Siccardsburg und dem Architekten Friedrich Stäche. Diesen wurden an Werth zunächst gestellt: die von Martin Kink, Landesbaudirector in Steiermark, Er. Lenné, Generaldirector der königlich preussischen Hofgärten, und von Ed. Strache, Privatier. Ehrenvolle Erwähnung fanden: die Sectionsräthe Moriz Löhr und Vincenz Streffleur, sowie der Ingenieur Ludwig Zettl.

Zur unveränderten Ausführung konnte jedoch keiner der prämiirten Pläne angenommen werden; vielmehr arbeitete ein aus Fachmännern gebildetes Comité eine Quintessenz der gelungensten Ideen aller einzelnen Projectanten für den definitiven Plan der Stadterweiterung aus. Am 1. September 185g erhielt dieser die Genehmigung des Kaisers.

Die Grundlagen des Planes waren: Anlage zweier paralleler Strassen, der Ring-Quaistrasse und der Lastenstrasse auf den Flächenräumen der Festungswerke, des Stadtgrabens und des Fortifications-Rayons mit Benützung der Esplanadestrasse rings um die Stadt in einem Ausmaasse von 500.000 Quadratklaftern. Dazu projectirte man einen dritten, parallelen Strassenzug, die heutige Gürtelstrasse, am äusseren Fortifications-Rayon der Linienwälle gelegen.

Als es nun galt, an die Durchführung des Stadterweiterungsplanes zu schreiten, tauchten erhebliche Schwierig­keiten auf. Die Gemeinde beanspruchte auf Grund des Gesetzes vom Jahre 1858 eine Einflussnahme auf das grosse

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Die GrossTndustrie. VI.

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