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Berliner Vertrag hineingebracht? Weshalb ließ man in Wien diese Bestimmung nunmehr sallen? Ist es beiläufig zulässig, internationale Verträge so einseitig abzuändern? Aus Grund welchen Rechtes dars Gras Kalnoky, wie er es den Delegirten der bulgarischen Eisenbahnkommission gegenüber gethan, die Versicherung geben, daß nunmehr alle Ansprüche der Gesellschast Hirsch in Bulgarien hinsällig geworden seien? Wie steht es dann mit den entsprechenden pflichten dieser Gesellschast? Anstatt die Gesellschast Hirsch zur Ausführung auch derjenigen Bestimmungen des Vertrages von s872, welche den Ausbau der Bahnen betreffen und bewirken sollen, anzuhalten, ist man in Wien noch immer bemüht, die natürliche Lösung der Anschlußsrage zu erschweren.
In diplomatischen Kreisen konnte das bedenkliche Zusammengehen zwischen der österreichisch - ungarischen Regierung und Baron Hirsch nicht unbemerkt bleiben, doch wurden von keiner Seite Vorstellungen dagegen erhoben. Von Berlin aus mochte man der befreundeten Regierung umsoweniger dareinreden, als dort die Angelegenheit der Orientbahnanschlüsse bis in die jüngste Zeit als eine untergeordnete angesehen wurde. In St. Petersburg und London dagegen freute man sich im Stillen über die Verblendung eines Staates, welcher so eifrig gegen sein eigenstes Interesse arbeitete.
Angesichts dieser unerfreulichen Thatsachen und Verhältnisse darf man in Deutschland wohl fragen: Ist es noch ferner erträglich, daß das deutsche Mitteleuropa sich in seinem natürlichen Handelsgebiet, in den südosteuropäischen Staaten, verdrängt sehen muß von den fern- gelegenen westeuropäischen See- und Handelsmächten? Ist es unabänderlich, daß auf der Donau stromaufwärts bis Widdin und mit den Eisenbahnen bis in das Herz der Balkanhalbinsel englische Waaren auf dem Seewege eindringen und wiederum auf dem Seewege englische Kaufleute im Austausch dagegen die Bodenerzeugnisse jener Länder nach Europa bringen, darunter alljährlich Hunderttausende Tentner von Getreide auf fo weitem Umwege nach Mitteleuropa selbst? Wie ist es zugegangen, daß dem deutschen Handel geradezu unberechenbare Nachtheile zugefügt worden sind, weil mit deutsch-mitteleuropäischem Kapital in der Türkei Schienenwege gebaut wurden, welche nicht nach Mitteleuropa, sondern auf verschiedenen Punkten an's Meer, an die große Handelsstraße führen, wo Deutschlands mächtigste Konkurrenten herrschen, also Letzteren zu Gute kamen?
Bis zum heutigen Tage hat das Deutsche Reich in der Orientbahnfrage eine zurückhaltende Stellung eingenommen, ja, als im Sommer s882 Baron Hirsch mit dem Hause Bleichröder in Berlin