Das Nittelmeer.
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einer mehr als dreihundertjährigen Vergessenheit zu übergeben, während alles Leben nach der frostigen Peripherie unsers Welttheils entweicht". Hat nun auch peschel darin ganz recht, wenn er nachzuweisen sucht, daß die Verdrängung des Mittelmeers aus seiner einstigen Nullstellung vorwiegend der Osmanenherrschaft und nicht etwa der Entdeckung der Neuen N)elt zuzuschreiben sei, so übersieht er offenbar den ursächlichen Zusammenhang dieser beiden letzten weltgeschichtlichen Thatsachen. Die Versperrung des kürzesten N)egs nach Indien über das Mittelmeer drängte zur Aufsuchung neuer Pfade dorthin in westlicher Richtung. So fand Tolumbus Westindien, Vasco da Gama Ostindien, und als diese U)ege sich bewährten, ließ man die Türken unbehelligt. Verödet lag das ehedem nacheinander von den Flotten der Phönicier, der Griechen, der Aarthager, der Römer, der Sarazenen, der Genüssen und der Venetianer so belebte Meer, in Verfall geriethen seine berühmtesten Hasenplätze, bis das neunzehnte Jahrhundert ihm neues Leben zuführte.
Seitdem die Osmanenherrschast gebrochen war und immer deutlichere Zeichen ihrer Schwäche gegeben hatte, wandte sich die Aufmerksamkeit der europäischen Mächte mehr und mehr dem Orient zu und nahm bereits in den weitgreisenden Plänen Aatharina's II. und dem abenteuerlichen Zug Napoleons I. bestimmte Formen an. Mit den erfolgreichen Unabhängigkeitskämpfen des griechischen Volks beginnt die neue Geschichtsepoche Südosteuropas und zugleich langsam der natürliche Prozeß der Wiedereuropäisirung der türkischen Gebietstheile in Europa, welchen man die orientalische Frage nennt. Wenn der Widerstreit der großmächtlichen Interessen, welcher diesen Prozeß bewußt oder unbewußt förderte, gelegentlich zu Arisen oder Ariegen führte, dann schien der Schwerpunkt der europäischen Politik vollends in die östliche Hälfte des Mittelmeeres verlegt zu sein.
Indeß erst nach seiner Verbindung mit dem Rothen Meer durch den Suezkanal ist das Mittelmeer wieder ganz in seine ehemalige, für Europa so bedeutsame Stellung eingesetzt worden, allerdings vorerst nur als Straße für den Verkehr, nicht mit seinen Häfen auch für den Handel, welcher langsamer nachzufolgen pflegt. Von unbeträchtlichen Mengen abgesehen, fahren die Schiffe mit ostindischer und egyptischer Baumwolle und Brodfrucht, mit chinesischem und japanesischem Thee, mit Aaffee aus Teylon rc. vom Suezkanal an Trieft, Venedig und Genna vorbei um in englischen, holländischen und deutschen Häfen, wo die Hauptabsatzmärkte entstanden sind, ihre Ladungen zu löschen. Mit den Häfen der Nordsee und des Aanals können sich diejenigen des Mittelmeeres nicht messen, doch dürfte des Letzteren Schiffsverkehr an Lebhaftigkeit kaum übertroffen werden.