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uns zu einem kleinen, unscheinbaren Hause, dessen Inneres unseren Erwartungen auch nicht entsprach. Wir wußten, daß der Hausherr ziemlich reich war; allein davon war in seinem Haushalte keine Spur zu bemerken. Es waren sogar diejenigen Gegenstände, welche der Orientale sonst gewöhnlich mit einem gewissen Luruö auszustatten pflegt, auffallend vernachlässigt. Nachdem wir im Empfangszimmer ein Weilchen auf staubbedeckten Ottomanen geruht hatten, erschien eine mit Goldmünzen über und über behan- gene Koptin, um uns mit Pfeifen zu versehen. Kurze Zeit nachher brachte sie den Kasse. Da trat herein, um uns denselben zu reichen, „wie ein Gebild aus Himmelshöhen" die Frau des Hausherrn, ein Weib von wunderbarer, unbeschreiblicher Schönheit, nach unseren Begriffen noch ein Kind. Sie mochte dreizehn, höchstens vierzehn Jahre zählen. Wir waren wahrhaft bestürzt, daß diese elende Hütte solch' einen Engel beherbergen konnte und trauten unseren Augen nicht, sondern hielten die vor uns Stehende für eine Erscheinung aus der Feenwelt, die ein süßer Traum unserer Phantasie vorgespiegelt. Da dachten wir wohl alle Drei im Stillen an Freiligrath'ö Ausruf:
„Liebt mich einmal ein Weib,
O Gott! so gleich' es diesem Bilde!"
Ich erinnere mich nicht, jemals wieder eine Frau gesehen zu haben, welche dieser an Schönheit nur entfernt geglichen hätte. Sie besaß das lieblichste, feinste und edelste Gesicht, vereint mit der schlanken, herrlichen Gazellengestalt und Händchen und Füßchen, wie die eines neunjährigen Kindes! Bei Allah und seinem Propheten, die Frau war schön! Ja, in der That, der Orient hat zarte, schöne Blumen; wohl Dem, glücklich Der, dem es gelingt, eine davon zu pflücken! Und daß er sie dann warten möge mit aller Sorgfalt; aber wie bald wird sie verblüht sein, die kaum erblühte Rose! Hier im Morgcnlande wird sie nie zu ihrer wahren Blüthe gelangen; hier vernichtet die rohe Hand des Mannes, welcher, durch die verfeinernde Kultur und Sitte europäischer Länder noch nicht gebildet, schon den Keim erfaßt, ehe er tiefe Wurzeln geschlagen, die später herrlich prangende Blume. —