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Die Groß-Industrie Oesterreichs : Festgabe zum glorreichen fünfzigjährigen Regierungs-Jubiläum seiner Majestät des Kaisers Franz Josef I. dargebracht von den Industriellen Österreichs 1898 ; Vierter Band
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Im Jahre 1820 baute die Tuchmacherzunft an Stelle des baufällig gewordenen Knappenhauses ein Theater, in welchem bis zum Jahre 1879 Theatervorstellungen abgehalten wurden.

Im Jahre 1827 baute die Zunft auf ihre Kosten eine sechste Walke in Reichenberg und brachte daselbst die ersten Waschmaschinen zur Aufstellung.

Im Jahre 1836 betheiligte sich die Zunft mit den Erzeugnissen ihrer Mitglieder an der aus Anlass der Krönung Kaiser Ferdinand I. zum Könige von Böhmen in Prag veranstalteten Ausstellung. Im selben Jahre stellte die Zunft mit einem Kostenaufwande von 9000 fl. C.-M. bei einer ihrer Walken ein Dampfwerk auf, das die an dessen Betrieb geknüpften Erwartungen nicht erfüllte, weshalb es bereits zwei Jahre später um den halben Anschaffungspreis wieder veräussert wurde. Hiebei sei bemerkt, dass das erste Dampfwerk in Reichenberg im Jahre 1835 gesetzt wurde, sowie dass die ersten Dampfmaschinen und Kessel aus Belgien bezogen wurden.

Zur selben Zeit waren in Reichenberg für die Tucherzeuger 120 Tuchscheermeister mit 150 Gehilfen und 40 Tuchbereiter mit 50 Gehilfen thätig; dieselben beschäftigten 180 Scheermaschinen der älteren Construction und 150 Handscheertische, sie benöthigten ferner 130 Rauhwannen und eine grosse Anzahl Handpressen. Die Appretur der Tuche erfuhr sodann eine bedeutende Vervollkommnung durch die Ein­führung der Cylinder-Scheermaschine im Jahre 1837; ferner durch die in den nächstfolgenden Jahren erfolgte Einführung der Rauhmaschinen, sowie der Schnellwalken und später der Walzenwalkmaschinen (18401848).

In den Jahren 1843 bis 1844 baute die Zunft eine siebente Walke an der Neisse im Ortstheile Kronau der Gemeinde Weisskirchen.

Die zünftige Schönfarbe hatte sechs Küpen und sieben Kessel; in weiteren 12 Privatfärbereien waren 26 Küpen im Gebrauche; die Kesselfarben wurden von den Tucherzeugern zumeist in eigenen Kesseln hergestellt. Die Handspinnerei hatte schon 1830 zur Gänze aufgehört; durch Wasser- und Rosswerke betriebene Schrobel- und Spinnmaschinen sorgten hinreichend für die erforderlichen Garne.

Das Jahr 1850 bildete einen Wendepunkt in der Geschichte der Reichenberger Tuchmacherzunft. Das zünftige System war bereits längst durchbrochen worden durch die Errichtung grosser Tuchfabriken in der Stadt und Umgebung. Das von dem Tuch- und Leinwandhändler Johann Georg Berger zu Ende des 18. Jahrhunderts mit der Errichtung einer Tuchfabrik gegebene Beispiel hatte in den Kreisen der Reichen­berger Tuchmacher anspornend gewirkt und bald entstanden daselbst mehrere, mehr oder minder vollständige Tuchfabriken. Der Tucherzeuger und Tuchgrosshändler Gottfried Möller war einer der Ersten, welcher zum fabriksmässigen Betriebe übergieng; ihm folgte sein Schwiegersohn Franz Ulbrich, welcher im Jahre 1806 in dem nahen Katharinberger Thale an der Schwarzen Neisse die erste Fabrik erbaute, welche später an die Tuchfabriksfirma Anton Trenkler & Söhne übergieng und nunmehr im Besitze der Strick-, Modetuch- und Wirkwaarenfabriksfirma A. Gübitz & Sohn ist. Die weitere Besiedlung des Katharinberger Thaies, das sich später zu einem der wichtigsten industriellen Vororte Reichenbergs ausgestaltete, gieng, zumeist in Folge der ungünstigen Geschäftsverhältnisse, welche von 1811 bis 1825 durch das Finanzpatent, Kriegsläufe, Missernten und Krankheiten herbeigeführt wurden, nur langsam vor sich. Im Jahre 1825 baute Ferdinand Seidel dortselbst eine Spinnfabrik, welche 1843 an den Tuchfabrikanten lg. Salomon, später an Joseph Salomon übergieng und jetzt im Besitze der Feintuchfabriksfirma Franz A. Posselt ist. Anton Thum baute in den Jahren 1834 und 1845 im Katharinberger Thale zwei Fabriken, von denen nach manchem Besitz­wechsel die erstere derzeit im Besitze der Tuchfabriksfirma Jos; J. Salomon, die letztere im Besitze der Spinnfabriksfirma Joseph Jäger ist.

Wir wollen die Errichtung der einzelnen Fabriken in diesem Thale nicht weiter verfolgen und zum Schlüsse dieser Ausführungen nur bemerken, dass bis um die Mitte dieses Jahrhunderts daselbst und beziehungsweise an dem Laufe der Schwarzen Neisse 24 grosse Fabriken errichtet wurden, welche sämmtlich als Spinnereien und Appreturanstalten im Dienste, beziehungsweise Besitze der Reichenberger Tuchfabrikanten standen. Seit etwa zehn Jahren hat sich dies gewaltig geändert. Die Vorherrschaft der Kammgarne zur Erzeugung von Bekleidungsstoffen hat die ehemals blühende Lohnspinnerei in Streichgarnen beinahe ganz ruinirt und ein grosser Theil der Katharinberger Fabriken sieht sich heute genöthigt, Strickgarne und Teppichgarne für Wirkwaaren-, Teppich- und Deckenfabriken zu erzeugen. Es bestehen derzeit noch im Thale der Schwarzen Neisse von oben nach abwärts folgende Tuchfabriken: Anton Ullrichs Söhne, Jos. J. Salomon, Franz A. Posselt, Ant. J. Kiesewetter (frühere Bergmühle), Brüder Siegmund (ehe­malige Bleichmühle) und Jos. Zimmermann (ehemalige Bleiche, dann Walke von Johann Georg Berger).

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